Auch dieses Jahr blieben wir im Sommer in Deutschland. Die Corona Situation war im Frühjahr immer noch nicht wirklich geklärt, sodass uns Auslandsreisen zu riskant erschienen. Ausserdem waren wir Anfang Juli auf einer Familienfeier in Hamburg eingeladen, die wir auf keinen Fall verpassen konnten und wollten. Unser ältester Sohn heiratete und solch ein Event mußte gebührend gefeiert werden, und da waren wir als Eltern natürlich dabei.
Nun schon mal hoch im Norden, haben wir uns entschieden, den Ostseeradweg an der Küste Schleswig-Holsteins zu erradeln. Das Fahrrad haben wir mittlerweile schätzen gelernt. Es dient der sportlichen Ertüchtigung und ist das ideale Fortbewegungsmittel, um Landschaften und Städte zu erleben – und das nicht nur in der Freizeit. Die Geschwindigkeit um die 20 KM/h ist ein angenehmes Reisetempo, überall wo man möchte kann man halten, vielleicht in ein Cafe einkehren oder sich Mittags in einem netten Restaurant bei Fisch mit Bratkartoffeln und Salat stärken. Die bei einem Auto nervige Parkplatztsuche entfällt und damit alle unterschwelligen Befürchtigungen, das Ende der Parkzeit vergessen zu haben oder irgendein Parkverbotsschild zu übersehen.
Unsere 7-tägige Radtour begann in Glücksburg. Die Stadt liegt am südlichen Ufer der Flensburger Förde, an der Ostsee, ganz im Norden Deutschlands. Bekannt geworden ist der kleine Ort mit seinen etwa 6.300 Einwohnern durch das Wasserschloß Glücksburg, erbaut 1582. Das Schloß war zeitweilige Residenz der Dänischen Könige und langjähriger Familiensitz der Herzöge von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg, die eng mit dem dänischen Königshaus und mit anderen europäischen Adelsgeschlechtern verbunden waren und sind. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Schloß in eine gemeinnützige Stiftung überführt, ist heute ein Museum und ein angemessener Ort für viele kulturelle Veranstaltungen.
Unser Auto parken wir auf einem etwas abseits gelegenen Parkplatz, auf dem sich auch ein paar Wohnmobilisten zum Übernachten eingefunden haben. Alle für die Radtour nötigen Sachen breiten wir aus und packen sie anschließend in die Packtaschen, die wir am Gepäckträger des Fahrrads einklinken. Wir wollen autark reisen und nicht auf Hotelzimmer zum Übernachten angewiesen sein. Also nehmen wir Zelt, Schlafsack, Isomatte und einen kleinen Gaskocher mit auf die Reise. Zur sicheren Navigation auf den Radwegen dient uns der elektronische GPX-Track aus dem Bikeliner Radtourenbuch ‚Ostseeküsten-Radweg 1‘ des Esterbauer Verlags. Das handliche Buch mit seinen detailierten Karten dient uns zur übersichtlichen Orientierung und die mitgelieferten GPX-Tracks, geladen auf unser Outdoor Garmin am Lenker mit Radfreizeitkarte, ist unser elektronischer Wegweiser.
Der Ostseeradweg führt uns auf mehr, meist weniger gut unterhaltenen Radwegen und Feldwegen häufig am Ufer der Ostsee entlang Richtung Süden. Im Norden Schleswig-Holsteins ist der Tourismus nicht so unglaublich dominant und aufdringlich wie weiter südlich bei Damp, rund um Kiel, Fehmarn und auf der Strecke von Grömitz bis Timmendorfer Strand. Wir radeln entlang vieler Blühstreifen, die zu intensiv bewirtschafteten Getreidefeldern einen farben- und insektenreichen Saum bilden. Häufig sind wir ganz allein unterwegs und genießen das ruhige Radeln in dieser flachen Landschaft, die uns keine zu große Anstrengung abfordert.
Wir kommen durch kleine Dörfer und Städtchen oder fahren an alten, friesischen Bauernhöfen vorbei. Überall ist es sauber und die Menschen scheinen mit ihrer Heimat in gutem Einklang zu leben. Viele Häuser sind reetgedeckt und gut in schuss. Wir treffen auf die Mündung der Schlei und fahren flussaufwärts bis Kappeln. Wir besuchen im Hafen ein nettes Restaurant und essen ein leckeres Fischgericht, bevor wir auf dem örtlichen Campingplatz unsere erste Nacht auf dieser Trekkingtour im Zelt verbringen.
Wir fahren am nächsten Morgen noch ein Stück die Schlei flussaufwärts bis Arnis. Arnis ist ein kleiner, verschlafener Fischer- und Schifferort mit gerade einmal 300 Einwohnern und doch ist der Ort eine richtige Stadt. Arnis ist nämlich die kleinste Stadt Deutschlands, Berlin übrigens die Größte. Heute ist Sonntag und das kleine Arnis im Gebiet Angeln (aus dieser Gegend kamen die Angelsachsen) lädt förmlich zum Verweilen ein. Wir entscheiden uns, an einem kleinen Cafe eine frühe Rast einzulegen und die sonnige Sonntagmorgenstimmung bei einem Kaffee und mit belegten Brötchen zu genießen.
Die kleine Fähre von Arnis trägt uns über die Schlei und unsere Fahrt geht weiter über Schönhagen und Damp nach Eckernförde. Damp 2000 steht für eine der vielen Bausünden, die Ende der 60er Jahre begangen und deren in Beton gegossene Wohnmonster man überall an der südlichen Ostseeküste von Schleswig-Holstein findet. Man kann sie einfach nicht übersehen. Sie überragen alles, ob in Damp, dem Olympiastützpunkt Schilksee, der für die Olympischen Spiele 1972 gebaut wurde, die Ferienanlage Heiligenhaus, Burg auf Fehmarn oder an vielen anderen Orten. Es waren damals die Anfänge des Massentourismus. Man plante, wie z.Bsp. für Damp 2000, Hotels mit 7.000 Betten auf der grünen Küstenwiese im Nichts. Leicht fand man Banken zur Finanzierung und Hochbaukonzerne, die den Beton hochzogen. Als alles fertig war, kamen die Feriengäste nicht wie geplant und das Hotelfachpersonal war Mangelware in dieser Gegend. Also wurde erfolgreich auf Kur- und Rehabetrieb umgeschaltet, der heute noch das ganze Damp Projekt finanziell trägt. Vielleicht verdammt man diese Bausünden der Vergangenheit und würde sie am liebsten abreißen aber auch sie gehören zum Ostseeradweg in Schleswig-Holstein und stehen für eine vergangene Zeit.
Unser Tag endet in Eckenförde. Wir suchen ein preisgünstiges Hotel in Zentrumsnähe und finden Heldts Hotel. Die Fahrräder stehen sicher in einer Garage des Hotels und wir ziehen in das ruhige Doppelzimmer ein. Diese Übernachtung wird die einzige auf der ganzen Radreise bleiben.
Der nächste Tag beginnt mit einem ausgiebigen Frühstück am Frühstücksbüffet des Hotels. Dann geht es auf dem Rad weiter an der Ostseeküste entlang nach Kiel. Am westlichen Ufer der Kieler Förde, am Ausgang zur Ostsee 15KM vor Kiel liegt Kiel-Schilksee. Mit viel grauem Beton wurde in Schilksee Anfang der 1970er Jahre das ‚Olympiazentrum Kiel-Schilksee‘ aus dem Boden gestampft, um an diesem Ort die Olympischen Segelwettbewerbe der in Deutschland stattfindenden Olympischen Sommerspiele von 1972 stattfinden zu lassen. Heute dient die Anlage als Olympiastützpunkt zur Förderung des Leistungssports Segeln, gefördert hauptsächlich über staatliche Bundesmittel. Auf uns wirkt die Anlage kühl, gesichtslos und etwas in die Jahre gekommen. Man müßte mal die Handwerker mit viel Farbe durch diese Anlagen schicken und alles etwas freundlicher und einladender gestalten.
Die nordwestlichen Vororte Kiels, Friedrichsort und Holtenau sind industriell geprägt. Wir umfahren den Flughafen Kiel-Holtenau und setzen mit einer Fähre über den hier in die Ostsee mündenden Nord-Ostseekanal. Gleich südlich des Kanals, im Ortsteil Wik, liegt der Ende des 19. Jahrhunderts gebaute Marinestützpunkt Kiel. Kaiser Wilhelm II. baute Kiel, im Rahmen seiner Pläne zum Aufbau einer gigantischen Kriegsmarine, zu einem großen Marinehafen aus und verlegte die Kriegsflotte von Danzig hierher nach Kiel. Ende 1918 beendete der Aufstand der kaiserlichen Marinesoldaten, der in Kiel-Wik seinen Anfang nahm, den 1. Weltkrieg und das Deutsche Kaiserreich und ebnete den Weg zur ersten Deutschen Republik.
Das östliche Ufer der Kieler Förde wirkt auf uns sehr einladend. Schöne Villen, Badestrände, Restaurants und Cafes und unser Fahrradweg führt mitten hindurch. Am östlichen Ausgang der Kieler Förde, gegenüber Kiel-Schilksee dann das Marine Ehrenmal Laboe mit dem Museums U-Boot U 995, das man besichtigen kann, um zu erfahren, wie eng und erdrückend so ein Unterwasserboot war und wohl noch ist. Das Ehrenmal Laboe wurde 1925 als Denkmal an gefallene Marinesoldaten im 1. Weltkrieg geplant und gebaut aber erst 1936 fertiggestellt und von Hitler in einer großen Marineparade eingeweiht. Nur knapp entging das Denkmal nach dem Krieg der Vernichtung durch die Alliierten Sieger, die es nach einigem hin und her nicht als den Krieg verherrlichendes Denkmal einstuften.
Wir lassen die Kieler Förde hinter uns. Es wird wieder ruhiger und einsamer. Die Landschaft gehört zu den östlichen Ausläufern der Holsteinischen Schweiz, ist hügelig geprägt von der letzten großen Eiszeit in Europa, die vor etwa 11.500 Jahren endete. Wir fahren Feldwege, die durch reife Weizenfelder führen und Küstenwege an einsamen Ostseestränden. Eingestreut in diese Einsamkeit gibt es Strandorte mit feinem Sandstrand, touristischer Infrastruktur und viele Urlauber, die ihre Freizeit am Strand oder in Restaurants oder Cafes genießen.
Wir nähern uns langsam dem Ort Heiligenhafen und dem Fehmarnsund mit der Fehmarnsundbrücke als Überfahrt auf die Insel Fehmarn. Vorher müssen wir aber noch einen Abstecher ins Städtchen Oldenburg in Holstein machen, denn der Truppenübungsplatz der Bundeswehr, Putlos macht eine direkte, küstennahe Fahrt unmöglich.
Fehmarn ist ohne Schiff nur über die Anfang der 1960er Jahre gebaute Fehmarnsundbrücke zu erreichen. Die Brücke ist ein Baustein der Vogelfluglinie, die mit Auto und Bahn (und auch Fahrrad) Hamburg mit Kopenhagen verbindet. Heute ist die Brücke marode und muß für den gewaltigen Verkehr, den sie in unseren Zeiten zu ertragen hat, umfangreich saniert werden. Unsere Radspur mit Gegenverkehr ist auf dem provisorischen Radweg extrem schmal bemessen, und wir sind froh als wir nach etwa 1,5KM wieder Land unter den Laufrädern hatten.
Fehmarn umrunden wir im Uhrzeigersinn, also erst im Westen gen Norden bis Puttgarden, dann im Osten Richtung Süden bis Burg auf Fehmarn. Zusammen sind das etwa 70 Kilometer. Sandstrände und das volle Touristenprogramm findet man im Norden und Süden der Insel, wobei Burg auf Fehmarn mit seinem Südstrand wohl der eigentliche touristische Hotspot ist. Im Sommer ist die Insel komplett ausgebucht. Hotelübernachtungen sind kurzfristig nicht zu bekommen, auch auf den Campingplätzen stehen Wohnwagen an Wohnwagen. Wir wollen kurz vor Puttgarden mit Zelt übernachten und haben Schwierigkeiten ein Plätzchen zu ergattern und werden schließlich noch von einem sich erbarmenden Platzbesitzer zwischen all die Wohnmobile und Wohnwagen gequetscht. Trotz dieser Unbequemlichkeiten hat uns Fehmarn gut gefallen. Es gibt im Westen Naturschutzgebiete und im Osten die Steilküste. Dort ist es einsamer. Und man kann auf Fehmarn sehr schön Fahrrad fahren.
Zurück auf dem Festland liegen jetzt noch 70 Kilometer Urlaubsküste mit viel Tourismus vor uns. Sandstrände, große Campingplätze und überberstende Touristenzentren kommen auf uns zu. Dahme, Kellenhusen, Grömitz, Neustadt, Hafkrug, Scharbeutz und Timmendorfer Strand, so heißen die Orte des dicht gepackten Touristenvergnügens. Wir schlängeln uns durch die vielen Urlauber auf den Promenaden der Kurorte, werden manchmal durch Verkehrsschilder in ruhige Seitenwege abgeleitet finden aber immer unseren Weg zurück zum nächsten Vergnügungsort.
Der Höhepunkt dieser Urlaubsorte ist nach unserer Meinung Timmendorfer Strand. In diesem Badeort geht es ruhiger zu. Die Besucher scheinen Lübecker und Hamburger Upper Class zu sein. Es gibt schicke Villen direkt in Ufernähe und hochpreisige Restaurants für Kunden mit feinem Geschmack und Geld. Es ist Freitag Mittag. Wir suchen ein Hotel in Lübeck, unserer geplanten Endstation der Radtour aber unsere Preiskategorie ist ausgebucht oder nicht zu finden. Wir beschließen, weiter mit den Rädern nach Travemünde zu radeln, mit der Bahn nach Lübeck zu fahren und dann weiter über Schleswig nach Flensburg. Um 22 Uhr kommen wir an, setzen uns auf die Räder und radeln die letzten Kilometer zurück zu unserem Auto nach Glücksburg. Kurz das Dachzelt aufgeklappt und sofort versinken wir in tiefen, erholsamen Schlaf.
Leider gibt es keine Trackdatei unserer Fahrradtour, da auf der Fehmarnsundbrücke das Garmin Oregon 750 seinen Dienst einstellte und nicht mehr zum Leben zu erwecken war. Leider ein Totalschaden.
Schlagworte: Deutschland, Ostsee
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