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An der Nordseeküste in Schleswig-Holstein

Das Auto haben wir für die nächsten Tage sicher in Hamburg geparkt und die Fahrräder sind abfahrbereit gepackt. In den Herbstferien wollen wir die Nordseeküste auf dem Nordseeküstenradweg ein Stück hinauf, Richtung Norden, fahren.

Zelt, Töpfe und Gaskocher bleiben diesmal zu Hause. Es ist Herbst und das Wetter sehr wechselhaft. Zelten wollen wir nicht. Zu naß und zu kalt. Wir werden uns einfach über ein Buchungsportal spontan Hotelzimmer zum Übernachten buchen. Sehr sorgfältig haben wir unser Augenmerk auf Regensachen gelegt. Regenjacke und Hose sind gesetzt, hinzu kommen Gamaschen für die Schuhe und einen Plastiküberzug über den Helm sowie warme Handschuhe. Wir fürchten nicht nur Regen sondern auch kalten Wind, der durch die Kleidung bläst und uns frieren läßt.

Wir starten in Hamburg-Eimsbüttel und schlängeln uns durch den Großstadtverkehr Richtung Altona. Manchmal fahren wir auf dem Bürgersteig, manchmal auf modern angelegten Fahrradwegen und manchmal schlängeln wir uns durch ein Spalier parkender Autos. Unser erstes Ziel ist der Bahnhof Altona. Hier nehmen wir die Spur auf, die im Radtourenbuch Nordseeküsten Radweg 3 des Esterbauer Verlags beschrieben wird. Natürlich laden wir den im Buch beschriebenen Track auf unser Fahrradnavi von Garmin und werden dem Wegevorschlag ab jetzt folgen.

Der Radweg führt uns am Altonaer Rathaus vorbei und nach ein paar hundert Metern direkt an die Elbe, zum Altonaer Balkon. Von hier aus hat man einen schönen Blick über den Hamburger Containerhafen mit dem hochmodernen Burchardkai und die Köhlbrandbrücke, die den Hamburger Hafen bei Wilhelmsburg an die Autobahn A7 anbindet. Die etwa 50 Meter hohe Brücke ist erst 1974 fertig gestellt worden, genügt aber nach knapp 50 Jahren nicht mehr dem technischen Stand moderner Containerschiffe und soll abgerissen und vermutlich durch einen Tunnel ersetzt werden. Der Fortschritt ist unbarmherzig.

Unser Radweg folgt auf dem nördlichen Elbufer direkt der Elbpromenade von Othmarschen über Nienstedt bis Blankenese. Wir staunen über die gepflegten Blankeneser Villen und über Sandstrände, die auf uns wie ein kleines Urlaubsparadies wirken. Am südlichen Elbufer erkennen wir Finkenwerder mit den für Hamburg so bedeutenden Airbus Werken. Wir verlassen kurz hinter Blankenese die Hansestadt Hamburg und queren die Landesgrenze zu Schleswig-Holstein. Nahtlos geht Blankenese in Wedel über. In Wedel führt der Radweg am Firmensitz der Astra-Zeneca Niederlassung Deutschland vorbei, schwenkt in ufernahes Wohngebiet mit Villen auf massiv gesicherten Grundstücken, um dann im Westen der Stadt wieder auf die Elbe zu treffen. Ab hier verlassen wir den Großraum Hamburg und radeln auf und neben hohen Deichen durch die grüne Elbmarsch.

Die Elbe ist hier in Schleswig-Holstein ein großer, breiter und träge fließender Strom. Über ihn ist der drittgrößte Hafen Europas in Hamburg, der etwa 80 Kilometer von der Mündung entfernt im Binnenland liegt, über die Nordsee an die globalen Handelsmärkte der Welt angebunden. Wegen immer größerer Containerschiffe muß die Fahrrinne der Unterelbe bis Hamburg stets vertieft und, um das Land der Elbmarschen zu schützen, müssen die Deiche gleichzeitig erhöht werden. Aktuell will man die Fahrrinne auf bis zu 17 Meter ausbaggern, und die Deiche auf 6-9 Meter erhöhen.

Bei moderatem aber stetigem Gegenwind radeln wir die Elbe stromabwärts. Die Landschaft der Elbmarsch ist geprägt von grünen Wiesen, hohen Deichen und diesem mächtigen Fluß Elbe, der große Schiffe trägt, hoch bepackt mit bunten Containerboxen.

Wir müssen das Flüsschen Pinne, ein kleiner Nebenfluß der Elbe, ein Stück Richtung Uetersen radeln, da wir über das Sperrwerk Pinne den Fluss nicht überqueren können. Gleiches passiert ein paar Kilometer weiter an der Krückau. Das gleichnahmige Sperrwerk soll wegen Reparaturarbeiten nicht für Radfahrer benutzbar sein sagen Schilder am Radweg. Wir müssen also den Fluß aufwärts fahren bis Elmshorn. Es ist kurz vor 6 Uhr. Wir suchen zentrumsnah eine ruhige Übernachtung und finden das Hotel Signature Skarv. Dann gehen wir ins Zentrum der Stadt in das vietnamesische Restaurant Viet Pho mit sehr leckeren und gut zubereiteten vietnamesischen Speisen.

Am nächsten Morgen geht es weiter. Wir verlassen die Stadt Elmshorn, die wir eher als trostlos in Erinnerung behalten werden. Die Innenstadt und die Fußgängerzone wirkten auf uns schlicht und norddeutsch unterkühlt ohne interessante historische Bauwerke, sieht man einmal von der St. Nikolai Kirche ab. Elmshorn wird wohl nicht zu den Orten gehören, zu denen wir gerne wiederkommen möchten.

Wir fahren auf dem Radweg am rechten Ufer der Krückau bis zur Mündung in die Elbe und radeln im Windschutz des Elbdeichs weiter die Elbe abwärts, bis wir nach etwa 12 Kilometern in Glückstadt ankommen. Wir fahren zum Hafen der Stadt und setzen uns in den Aussenbereich eines Restaurants in die warme Mittagssonne. Glückstadt ist ein nettes Städtchen mit etwa 11.000 Einwohnern. An der nördlichen Hafenseite fallen uns Häuser auf, deren sorgfältig restaurierte Giebelfassaden an holländischen Baustil erinnern. Wir schlagen im Reiseführer nach und lernen, dass der damals in Holstein regierende dänische König Christian IV. Glückstadt im Jahr 1617 auf grünem Marschland erbauen ließ. Die Stadt sollte eine Konkurrenz zur prosperierenden Hansestadt Hamburg sein. Die Lage in der Nähe der Elbmündung war eigentlich ideal für einen prosperierenden Hafen jedoch behinderte eine Sandbank vor der Krückaumündung die Einfahrt in Glückstadts Hafen und so wurde die Stadt keine Konkurrentin Hamburgs sondern eine Festung.

Der holländische Baustiel an den Häusern in Glückstadt steht für die Einwanderung niederländischer Friesen im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit, die vor der intoleranten, spanisch-habsburgischen Herrschaft aus ihrer Heimat flüchteten und vom dänischen König mit großzügigen Privilegien aufgenommen wurden. Die holländischen Neubürger führten Windmühlen, ein ausgeklügeltes Entwässerungssystem und Deiche ein und legten so die ursprünglichen Salzwiesen Dithmarschen und Elbmarschen trocken, machten das Land bewohnbar und ermöglichten damit erst die Gründung vieler Städte und Dörfer an der Nordseeküste.

Wir radeln weiter. Das Wetter ist wechselhaft. Der Wind treibt dicke, dunkle Regenwolken über unsere Köpfe, die manchmal ihre Regenfracht unverhofft über unsere Köpfe schütten. Dann heißt es anhalten und in die Regensachen schlüpfen. Etwas später klart es auf, der Himmel ist blau und die Sonne strahlt. Wir ziehen alle Regensachen wieder aus und packen sie ein. Manchmal kämpfen wir anschließend noch gegen glitschigen Schafskot und Matsch von schweren Ackerschleppern, die unsere Fahrräder einschlammen und die Kettenschaltung schwergängig machen. Aber da müssen wir durch.

Direkt vor uns in dieser norddeutschen Idylle liegt das Kernkraftwerk Brokdorf. Insgesamt gibt es an der Unterelbe drei KKW Anlagen: Krümmel bei Geesthacht südlich von Hamburg, Brokdorf genau vor uns und Brunsbüttel 15 Kilometer weiter die Elbe abwärts. Alle drei in Schleswig-Holstein gelegen. Brokdorf war das modernste und größte dieser drei Anlagen, ging 1986 ans Netz und wurde am 31. Dezember 2021 als letztes der drei abgeschaltet. Das KKW Brokdorf war in den 70er und 80er Jahren Mittelpunkt großer Anti AKW Demonstrationen mit häufig über 100.000 Teilnehmern und schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei. Wir erleben die weisse Kugel des Reaktorgebäudes und das daneben gelegene Maschinenhaus auf der grünen Wiese gleich hinter dem Deich nicht als bedrohliches Industriemonument aus dem Atomzeitalter. Alles liegt friedlich und ruhig vor uns. Schafe, der Rasenmäher der Deichwiesen, grasen in dieser Idylle vor dem unauffälligen Stromgiganten, der immerhin mit einer maximalen Leistung von 1.480MW in der Lage wäre, fast ganz Hamburg mit Strom zu versorgen.

Wir radeln durch das kleine Dörfchen Brokdorf, wo der Radweg ein kurzes Stück auf die Bundesstraße 431 schwenkt und dann hinter dem Ort wieder zurück zum Deich, zu den vielen Schafen, die als Greenkeeper eine hervorragende, wichtige Arbeit zum Deichschutz leisten. Kurz vor Brunsbüttel, im Dörfchen St. Margarethen haben wir für die Nacht ein Zimmer im Hotel Margarethenhof ergattert. Gefühlt sind wir in dem großen Hotel die einzigen Gäste. Wir bekommen ein schönes Zimmer mit Blick über den Deich auf die Elbe und schauen den Containerschiffen hinterher, die nach Hamburg oder von Hamburg hinaus in die weite Welt fahren.

Am nächsten Morgen gibt es im Hotel ein ausgiebiges Frühstück, bevor wir aufsatteln und nach Brunsbüttel fahren. In der Kleinstadt Brunsbüttel mündet der vielbefahrene, im Jahr 1895 feierlich durch den damaligen Deutschen Kaiser Wilhelm II. eröffnete Nord-Ostseekanal, in die Nordsee. An der Einfahrt in die Wasserstraße regelt eine große Doppelschleuse den Schiffsverkehr. Etwas oberhalb der Schleusenanlage bringt uns eine Fähre kostenlos ans nördliche Ufer des Kanals. Von Brunsbüttel aus haben wir die Wahl, weiter am Wasser immer am Deiches entlang zur Helgoländer Bucht zu fahren oder etwas im Landesinnern durch die Orte Sankt Michaelisdonn und Meldorf. Beide Wege führen uns nach Büsum.

Wir entscheiden uns, zur Abwechslung durch das Landesinnere zu radeln. Es geht meistens auf landwirtschaftlichen Wirtschaftswegen durch das grüne Marschland an alten Bauernhöfen vorbei, durch kleine Dörfer und Städte. In Sankt Michaelisdonn machen wir an der Windmühle „Edda“ Rast. Die Technik der Windmühlen wurde von den eingewanderten Holländern aus ihrer Heimat mitgebracht damit das Land entwässert werden konnte und um Getreide zu Mehl zum Brotbacken zu mahlen. Die Mühle Edda hatte einen Vorläufer, datiert auf das Jahr 1666; Edda selbst wurde 1842 erbaut und Ende der 1990er Jahre umfassend restauriert. Die Mühle ist auch heute noch voll funktionsfähig wie wir im Reiseführer lesen konnten.

Von Meldorf geht es wieder zurück ans Wattenmeer und dann radeln wir die letzten Kilometer an der Küste entlang bis Büsum. Büsum können wir nicht verfehlen, denn der „Bühsumer Finger“ weist uns den Weg. Dies 85 Meter hohe, in den 1970er Jahren erbaute Hochhaus mit 22 Etagen beherbergt heute fast ausschließlich Eigentumswohnungen für Freunde des norddeutschen Flachlandes. Der Bühsumer Finger ist aus allen Richtungen schon frühzeitig zu sehen und dient als wegweisende Landmarke.

In Büsum haben wir eine Ferienwohnung gemietet und verbringen in diesem Touristenort eine Woche der Erholung und der Entspannung. Wir können das Radfahren aber doch nicht ganz lassen und machen von hier aus mit den Rädern Tagestouren nach St. Peter-Ording über das große Eidersperrwerk und nach Husum. Ohne das viele Gepäck fährt es sich natürlich viel leichter und flotter. Wenn nur der Wind und die ständig drohenden dunklen Wolken mit ihren gespeicherten Wassermassen nicht wären.


Die gesamte Fahrradroute von Hamburg bis Husum hatte eine Länge von 275KM. Die Gesamtstrecke als gpx-Track befindet sich zum Download hier:

  Hamburg Husum Rad 275KM (190,5 KiB, 234 hits)

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