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Das Hirschberger Tal und Breslau

Das Hirschberger Tal (Kotlina Jeleniogórska) liegt nur etwa 100 Kilometer südwestlich von Breslau (Wrocław) und nur 90 Kilometer von Görlitz entfernt. Im 19. Jahrhundert, als Schlesien zu Preußen gehörte, war dieses den meisten von uns Deutschen heute unbekannte Tal der Ort, an dem die preußische Oberschicht ihre Sommerresidenzen mit großzügigen Parkanlagen hatte. Die sanfthügelige, schlesische Landschaft mit viel Wald und weiten Getreidefeldern begeisterte damals mit dem Panorama des Riesengebirges im Süden den preußischen Geld- und Hochadel. Berlin war auch nicht weit und es war die Zeit der schnellen Eisenbahnverbindungen also wurde in diesem kleinen Tal Prachtschloß an Prachtschloß gebaut.

Meine Mutter ist geborene Schlesierin. Sie wurde 1925 in Breslau geboren und lebte dort bis sie mit Mutter und Schwester im Alter von 19 Jahren am 20. Januar 1945 aus der Festung Breslau auf Anordnung des Stadtkommandanten fliehen mußte. Ihr Vater, mein Großvater, hatte eine leitende Position bei der damals noch renomierten Deutschen Bank in Breslau inne und hatte den sicheren Abtransport aller Bankdokumente in den Westen, nach Jena, zu organisieren. Er mußte also in der Stadt bleiben. Natürlich war die Flucht für meine Mutter, wie für viele ihrer Generation, ein Trauma, das sie ihr Leben lang nicht überwinden konnte. In Erzählungen berichtete sie vom Leben in Breslau und auch von Ausflügen ins Hirschberger Tal, das Riesengebirge und die Schneekoppe und sie kannte die Stabkirche Wang.

Unser erster Besuch im Hirschberger Tal galt dieser alten, norwegischen Stabkirche. Sie ist etwas abseits gelegen im Erholungsort Krummhübel (Karpacz). Der Weg hinauf vom Parkplatz zur Kirche ist gesäumt von vielen Souvenierläden doch endlich steht man vor der kleinen Holzkirche und wähnt sich in Norwegen und tatsächlich ist diese Kirche eine alte norwegische Holzkirche. Etwa um 1840 sollte die 600 Jahre alte Stabkirche aus Wang in Norwegen abgerissen werden. Der norwegische Maler Jan Christian Dahl wollte sie erhalten und wandte sich an potentielle Interessenten. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV., der bereits seinen Sommersitz im Hirschberg Tal hatte, griff zu. Er liess die alte Kirche zerlegen und nach Schlesien bringen, marode Teile originalgetreu ersetzen und in Krummhübel die Stabkirche originalgetreu aufbauen. Auch ein kleiner, deutscher Friedhof ist erhalten geblieben mit den originalen Grabsteinen aus alter preußischer Zeit.

Das Hirschberger Tal ist förmlich gespickt mit großen und kleineren Sommerresidenzen aus der Zeit des Biedermeier im 19. Jahrhundert. Die Preußenkönige, angefangen mit Friedrich Wilhelm III., erwarben hier ihre Sommerresidenz, dann auch noch gegebenenfalls errichteten sie ein Witwenschloß mit dem damals in Mode gekommenen Englischen Garten als großzügigen Park zum Reiten und sich Erholen. Es folgte der preußische Hochadel, verdiente Militärs und schließlich auch der Geldadel. Jeder baute oder kaufte ein Schloss mit Park, wie er es sich gerade leisten konnte. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg verfielen die Schlösser. Zuerst wurden einige geplündert und fast zerstört, dann konnten die angesiedelten Polen mit den aufwändig zu unterhaltenden Bauwerken und Parkanlagen nichts anfangen. Sie hatten auch schließlich andere Sorgen. Erst die Wende nach 1990 und die Anerkennung der gegenseitigen Grenzen und die Aufnahme Polens in die EU bewirkte, dass deutsche Nachkommmen ehemaliger Schlossbesitzer ihre Liebe für die Schlösser wieder entdeckten und mit zum Teil erheblichen deutschen Fördermitteln Schlösser restaurierten. Aber auch reiche Polen oder Hotelketten erwarben Schlösser um sie als Hotels der gehobenen Kategorie zu vermarkten. Heute hat jeder Besucher freien Zugang zu den Schlössern, Gärten und Parks.

Wir haben insgesamt acht Schlösser besucht. Manchmal fährt man durch ein polnisches Dorf und sieht ein kleines Schild mit dem Piktogramm eines Denkmals und als Schriftzug das polnische Wort Zamek für Schloss. Folgt man den Schildern landet man meist direkt am Parkplatz vor einem Schloss. Man steigt aus, schaut sich das Schloss und den Park in Ruhe an und geht anschließend zum Schlossrestaurant und wählt auf der Speisekarte ein leckeres und auch noch preiswertes polnisches Menü. Ist ein Zimmer frei sollte man auch übernachten. Man fühlt sich wie der König von Preußen.

Wir besuchten die Schlösser Lomnitz und Schildau, Erdmannsdorf und Stonsdorf, Spiz, Fischbach und Buchwald. Da ist zuerst das Schloss Lomnitz oder besser gesagt das Große Schloss mit Gutshof und gleich daneben das Kleine Schloss als Witwenschloss. Heute wieder komplett in Stand gesetzt von Nachfahren der letzten deutschen Besitzer und als Hotel geführt. Das in unmittelbarer Nachbarschaft befindliche Schloss Schildau erwarb der Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. für seine Tochter Luise von Preußen und ließ es umfänglich umbauen. Im Jahr 1995 kaufte eine polnisch-italienische Firma die Immobilie und baute sie zu einem Viersternehotel aus. Das Schloss und der große Englische Park sind frei zugänglich.

Im Jahr 1822 kaufte Wilhelm von Preußen, ein Bruder des Preußischen Königs, Schloss Fischbach (siehe Artikelbild). Er hielt sich mit seiner Familie häufig in Fischbach auf. König Friedrich Wilhelm III. besuchte Schloss Fischbach und seinen Bruder häufig wenn er im Hirschberger Tal weilte und pflegte auch engen Kontakt zu Generalfeldmarschall August Neidhardt von Gneisenau, einem Veteranen der Napoleonischen Kriege. Er residierte auf Schloss Erdmannsdorf. Es wundert nicht, dass bei dieser Prominenz der Geldadel nicht weit ist. Schloss Buchwald gehörte dem in Hameln geborenen Grafen von Reden. Er entwickelte maßgeblich den Bergbau und die Eisenverhüttung in Oberschlesien. Das Schloss Stonsdorf im gleichnamigen Ort Stonsdorf, nach dem der Stonsdorfer Kräuterlikör benannt ist, gehörte bis 1947 der Familie des Grafen von Reuss, heute ist das Anwesen ein Top Hotel. Bemerkenswert ist der Park, der zum Schloss gehört mit seinen im Park wunderbar integrierten kleinen Seen.

Hat man nach Besichtigung all der Schlossanlagen noch etwas Zeit, so empfehlen wir den Wanderweg zum Sokoli, auf deutsch Forstberg. Man erwandert auf der Kuppe des Forstbergs einen Aussichtspunkt mit tollem Blick in das Hirschberger Tal bis zum Riesengebirge und der Schneekoppe im Süden. Der etwa 640 Meter hohe Forstberg liegt nur wenige Kilometer nordöstlich von Schloss Fischbach und ist vom Schlosspark aus sogar zu sehen.

Unser Reiseführer gibt uns noch einen Tipp: Eine Wanderung am Szczeliniec Wielki zu deutsch die Grosse Heuscheuer im Glatzer Land. Wir verlassen also das Hirschberger Tal, queren die Grenze nach Tschechien fahren ein Stück im früheren Sudetenland nach Osten und bei Náchod geht es wieder zurück nach Polen, ins frühere Glatzer Land. Kurz hinter der Ortschaft Karlów sind wir am Ziel. Zur 920 Meter hohen Grossen Heuscheuer, einem erodierten Tafelberg aus Sandstein, schlängelt sich ein Wanderweg hinauf auf eine Aussichtsplattform mit kleiner Restauration und sehr schönem Ausblick in das Glatzer Land bis zu den Sudeten im Süden. Der empfohlene Rückweg, den man bezahlen muß, führt durch eine sehr enge Schlucht erst abwärts, dann wieder hinauf zu einer Aussichtsplattform im Sandstein ehe man wieder absteigt und zum Ausgangspunkt zurück kommt.

Unser letztes Besuchsziel in Schlesien ist die Hauptstadt Niederschlesiens, früher Breslau genannt, heute Wrocław. Bis 1945 war Breslau die Heimat meiner Mutter. Mein Großvater kam aus Niedersachsen, machte eine Banklehre bei der Deutschen Bank in Goslar und bewarb sich dann auf einen Posten bei der Deutschen Bank in Breslau. Das muß so kurz vor dem Ersten Weltkrieg gewesen sein. Damals war Niederschlesien eine wirtschaftlich aufstrebende Region. Breslau hatte 1910 schon 500.000 Einwohner, soviel wie Köln. 1939 im letzten Jahr vor dem Krieg zählte Breslau 630.000 Einwohner – das entspricht ziemlich genau der Bewohnerzahl von Wrocław heute. Damals wie heute eine Großstadt.

Meine Mutter trauerte immer den Jugend- und Kindheitsjahren in Breslau nach. Sie erzählte von der Wohnung in der Goethestraße 118, dem privaten Oberlyzeum von Zawadzky für Mädchen in der Gutenbergstraße über das es ein nettes Manuskript auf der Seite des Deutschlandfunks unter dem Titel Breslau-Wrocław. Und zurück gibt. Die Schule wurde von den Nazis später in Dietrich-Eckart Schule umbenannt. Namensgeber war ein früher Mentor Adol Hitlers.

Mein Großvater stieg schnell zum Bankdirektor an der Deutschen Bank in Breslau auf und konnte sich im Jahr 1937 ein Haus in Breslaus Villenvorort Bischofswalde (Biskupin) in der Gustav-Langner Straße 6 (heute Artura Grottgera) kaufen. Dieses Haus aus dem Jahre 1912 steht noch heute und ist, wie man auf dem Bild sieht, top renoviert und befindet sich wohl in besten Händen. Der Hauskauf wurde damals, so erzählt es meine Mutter, im Schweidnitzer Keller (Piwnica Świdnicka, derzeit leider geschlossen) unter dem alt-ehrwürdigen Rathaus am Ring (Rynek) feucht-fröhlich und angemessen gefeiert.

Auch den damaligen Sitz der Deutschen Bank in der Albrechtstr 33/34 (Wita Stwosza) konnten wir finden. Auch dieses Haus hat den Krieg überstanden. Die Deutsche Bank übernahm die Mehrheit des Aktienkapitals des Schlesischen Bankvereins im Jahr 1897, einer Regionalbank in Schlesien und auch das in der Albrechtstraße 1899 eröffnete Bankhaus. Man sieht noch über dem Eingang die Jahreszahl 1899 und ganz oben das Wappen des Schlesischen Bankvereins. Hier hat mein Großvater gearbeitet, fuhr täglich von Bischofswalde ins Zentrum zur Bank mit der Straßenbahn und schritt durch das mächtige Eingangsportal – welch ein Gedanke.

Wir suchen in Breslau die Goethestraße und Gutenbergstraße doch beide sind vom Krieg ausradiert. Meine Mutter sagte immer: „Der Russe kam vom Süden und nicht vom Norden wie man allgemein vermutete“. Fährt man zum Hindenburgplatz (Powstańców Śląskich) kann man den Sky Tower im Fahrstuhl hinauffahren und sich einen Überblick über die Stadt verschaffen. Man sieht im Norden die Altstadt mit dem Rathaus und die Dominsel, rechts, also im Osten die Jahrhunderthalle und den Scheitnig Park und man kann wohl auch Bischofswalde erahnen. Schaut man sich das Stadtviertel direkt unter dem Turm an so bemerkt man sofort den architektonischen Bruch. Im Süden wirkt die Stadt wie abgeräumt und wieder erbaut mit quaderförmigen Wohnblöcken. Der Russe kam eben vom Süden, genau genommen Südwesten. Wie meine Mutter es sagte.

Bis kurz vor Ende des Krieges blieb Breslau von Zerstörungen komplett verschont. Das Leben ging weiter wie in Friedenszeiten – so berichtete es auch meine Mutter. Breslau war außerhalb der Reichweite der alliierten Bomberstaffeln, massive Bomardements wie in den westdeutschen Städten blieben der Stadt erspart – bis Januar 1945. Hitler wollte die Rote Armee an der Oderlinie unbedingt aufhalten und erklärte unter anderem Breslau zur Festung. Damit war die Stadt dem Untergang geweiht. Am 20. Januar 1945 rief der Gauleiter Breslaus, Karl Hanke die nicht wehrtaugliche Zivilbevölkerung auf, die Stadt zu verlassen. Sofort brach das Chaos aus. Die Stadt war zu diesem Zeitpunkt voller Flüchtlinge und eine Evakuiierung war nicht organisiert. Hunderttausende verließen im strengen Winter 1945 die Stadt zu Fuß, viele kehrten verzweifelt zurück. Mein Großvater hatte über die Bank gute und hilfreiche Kontakte und konnte seine Familie mit der Reichsbahn gerade noch ausreisen lassen. Ihr Ziel war der Geburtsort meines Großvaters in Niedersachsen, den sie auch unbeschadet erreicht haben. Der Festungsirrsinn von Breslau führte zu massiver Zerstörung der Stadt. Häuserkämpfe radierten Straßenzüge aus und Ostern 1945 bombardierte die Rote Armee das Stadtzentrum massiv. 70% der Bausubstanz der Stadt war verloren. Zu guter Letzt ließen die Nazi Generäle eine ein Kilometer lange Landebahn in den Stadtteil Grünewald sprengen. Dazu wurde die Kaiserstraße auf 300 Meter verbreitert. Als der Nazi Spuk am 6. Mai 1945 vorbei war hausten noch etwa 200.000 Menschen in den Trümmern. Es folgte in den folgenden Monaten und Jahren die Vertreibung der Deutschen und die Ansiedlung von Polen aus der Ukraine, besonders aus dem Gebiet um Lemberg (Lwiw).

Die Stadt Breslau stand 1945 kurz vor der Auslöschung. Viele verbliebene Deutsche flohen in den Westen oder wurden vertrieben, Polen kamen in die zertrümmerte Stadt. Niemand wußte, wem die Stadt einmal zugehören sollte. Polen oder doch wieder Deutschland? Baumaterial wurde aus Breslau abtransportiert und nach Warschau gebracht zum Wiederaufbau der polnischen Hauptstadt. Und doch ist Breslau der kompletten Vernichtung entkommen und die Polen haben es in den folgenden Jahrzehnten fantastisch und mit viel Liebe wieder aufgebaut. Heute hat Wrocław seinen historischen Stadtkern in der Altstadt und der Sand- und Dominsel zurück. Alles erstrahlt in sorgfältig restauriertem Glanz und die alten, geschichtlichen Wurzeln der Stadt sind für jeden Besucher erlebbar als hätte es die Zerstörung nicht gegeben. Breslau ist in Wrocław aber Wrocław ist nicht Breslau.

Wir haben auf dem Campingplatz am alten Olympiastadion übernachtet und sind mit den Rädern ins Zentrum gefahren. Wir haben uns am Scheitniger Park die Jahrhunderthalle angeschaut, waren auf der Dominsel und ganz häufig am Ring, dem Alten Rathaus der Stadt und in mehreren der toll restaurierten Kirchen. Es gibt in Wrocław viel aufzuspüren, alte Palais, die Universität, das alte Königsschloss und der alte Hauptbahnhof im Tudor Baustil. Sogar das Kurfürstenhaus mit seinen aufwändigen Fassadenmalereien erstrahlt in alter Pracht. Geht man zur Mittagszeit bei herrlichem Sonnenschein in eines der einladenden Restaurants am Ring in Sichtweite des alten Rathauses, dann kann man sicher sein, dass man hier in Polen freundlich und höflich bedient wird und ein schlesisches oder polnisches Menü serviert bekommt, das in der Qualität zu dieser bezaubernden Stadt an der Oder passt.



Unsere etwa 5.100 Kilometer lange Tour quer durch Ostdeutschland, den Süden Polens, Masuren und über Hamburg zurück nach Köln in 33 Tagen als gpx-Track findet sich zum Download hier:

  Track_nach_Polen (1,4 MiB, 916 hits)


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