Der Aer Lingus Airbus A320 schwebt langsam wie an einem imaginären Faden gezogen auf die Landebahn des Dubliner Flughafens zu. Vor 90 Minuten in Düsseldorf gestartet betreten wir in wenigen Minuten das erste Mal die grüne Insel im Nord-Westen Europas. Vier Wochen planen wir in Irland zu bleiben, ein paar Tage in Dublin, zwei Wochen an der Küste im Süd-Westen in einem Cottage und fast zwei Wochen wollen wir ziellos durchs Land reisen.
Auf jeder Reise haben wir es immer wieder von Neuem erlebt: Die ersten Schritte in einem unbekannten Land sind die Aufregendsten. Kommt man mit den Menschen und ihrer Lebensart klar? Man hört zuerst die fremde Sprache, spürt die Temperatur und Luftfeuchtigkeit des lokalen Wetters wenn man das klimatisierte Flughafengebäude verlässt. Gerüche strömen auf den Besucher ein, die Augen schweifen über das Labyrinth der breiten, mehrspurigen Auffahrrampen sobald man durch die breiten, automatischen Schiebetüren ins Freie tritt. Einen Bus, der uns vom Dubliner Flughafen in die ein paar Kilometer südlich gelegene Stadt Dublin fährt müssen wir finden. Wir fragen uns durch zur Bushaltestelle. Links sagt man uns, links vom Flughafen ist ein Busterminal. Hier starten langsame, lokale Busse und Expressbusse in die Stadt und Überlandbusse, die den Flughafen mit den größten, kleinen Städten des Landes verbinden. Wir nehmen den Expressbus 747 in die City und wuchten unser Gepäck ins Innere. Der Fahrer versichert, dass er uns bis fast vor das in Deutschland gebuchte Hostel Abraham House bringen wird. Wir bedanken uns und hören zum ersten nicht aber zum letzten Mal das höfliche und irgendwie herzliche ‚You’re Wellcome‘. Für uns klang es wie die direkte deutsche Übersetzung: Seid herzlich Willkommen. Wir waren in Irland angekommen.
Wir hatten Freunde schwärmen gehört, die oft und regelmäßig nach Irland reisten und uns von der wunderbaren Landschaft, der Einsamkeit und den Eigenarten der Iren berichteten. Wir hatten uns Matthias Kostkas irische Bilder in seiner Galerie Lichtträume als Einstimmung auf die Landschaft Irlands angeschaut – und wir hatten irische Fußballfans bei der Europameisterschaft in Polen, am Fernseher sitzend, erlebt.
Bei der Fußball Europameisterschaft 2012 spielte in Danzig die Auswahl Irlands gegen Spanien. Natürlich hatte Irland keine Chance; Spanien demontierte die Auswahl der kleinen, grünen Insel. Anstatt zu Pfeifen stimmten die vielen irischen Fans den Refrain des irischen Folksongs ‚Fields of Athenry‘ an. Das Lied handelt von einem jungen Familienvater aus der kleinen irischen Stadt Athenry, der während der großen, für Irland traumatischen Hungersnot von 1845-52, Getreide stahl um seine Familie vor dem Verhungern zu bewahren. Er wurde von den Engländern gefasst, ins Gefängnis geworfen und soll allein, ohne seine Familie als Sträfling nach Australien verschifft und deportiert werden.
Ein paar Minuten sollte man an dieser Stelle inne halten und sich eine Interpretation dieses Liedes gesungen von ‚The Dubliners‘ anhören und sich dabei die deutsche Übersetzung des Liedes hier anschauen.
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Unser Hostel, das Abraham House finden wir schnell in der Gardliner Street Lower direkt im Zentrum der Stadt Dublin. Dublin, die größte Stadt Irlands mit etwas mehr als 500.000 Einwohnern, liegt in der sich weit öffnenden Mündung des Flusses Liffey in die Dublin Bay der irischen See, im Osten der Insel Irland. In der Gardliner Street reiht sich Hostel an Hostel und auch so manches urige irische Pub ist nicht fern. Wir finden in unserer Unterkunft ein ruhiges, sauberes vier Bett Zimmer mit karger Ausstattung und Etagenbetten, die den Charme einer alten, deutschen Jugendherberge ausstrahlen. Aber uns ist wichtiger, dass wir das Zentrum Dublins zu Fuß leicht erreichen können. Über die Talbot Street schlendern wir in 10 Minuten in die O’Connell Street. Diese breite Avenue erinnert mit vielen Statuen an patriotische Helden des fast 800-jährigen Unabhangigkeitskampfes der katholischen Iren gegen die protestantischen Engländer. Fast jede Stadt in Irland hat im Zentrum eine Straße nach Daniel O’Connell benannt, dem zähen Vorkämpfer für die legitimen Rechte der katholischen Iren im früher einmal englisch dominierten Irland des 19. Jahrhunderts.
Die Feinde Englands waren durchaus die Freunde Irlands. Im 16. Jahrhundert, als England unter Elisabeth I. gegen Spanien um die Weltherrschaft stritt, luden viele irische Earls Spanien zur Landung auf Irland ein, genauso wie Anfang des 19. Jahrhunderts Englands mächtigen Feind Napoleon. Immer wieder waren die Iren auf der falschen, unterlegenen Seite und mussten dafür manchmal furchtbar büßen. Der Premierminister Irlands De Valera kondolierte dem deutschen Botschafter anlässlich des Todes Adolf Hitlers wenige Tage vor Ende des 2. Weltkriegs, was ihm später von verschiedenen, auch irischen Seiten bitter verübelt wurde. Irland war zwar im 2. Weltkrieg neutral aber viele Iren setzten sich nach England und den USA ab um mit den Alliierten gegen Hitler-Deutschland zu kämpfen und mit ihren irischen Verwandten die freiheitlichen Werte zu verteidigen. Bei vielen irischen Politikern wog allerdings der Hass gegen den früheren Gegner und Besatzer England wohl schwerer. Auch der wortgewaltige Éamon de Valera steht in Stein gemeißelt auf einem Sockel in der O’Connell Street in Dublin.
Am linken Ufer des Liffey Flusses kommen wir auf dem Weg in die Docklands, dem Finanzviertel Dublins, am Denkmal für die Opfer der Großen Irischen Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts vorbei. Die in Bronze gegossene Personengruppe vermittelt ergreifend die hoffnungslose Lage der Iren in den Jahren 1845 bis 1852. Von den 8.1 Millionen Iren vor der Hungersnot blieben etwa 6.6 Millionen übrig; ungefähr so viele Menschen wie heute in der Republik Irland und Nordirland leben. Viele Iren starben damals an Hunger und den Folgen der Unterernährung; viele Iren wanderten besonders in die USA aus. Ausgelöst wurde diese Hungersnot durch die sich rasch ausbreitende Kartoffelfäule; verstärkt und letztlich bis zur Katastrophe verschärft hat die Notlage aber die Wirtschaftspolitik der damals herrschenden englischen Oberschicht. Viele Iren sprechen offen vom Genozid also Völkermord der damals herrschenden Engländer an den Iren und sehen letztlich in dieser irischen Katastrophe den Ausgangspunkt für die Unabhängigkeit der Republik Irland vom Vereinigten Königreich im Jahre 1922.
Dublin hat uns mit seinem eigenen Charme in den Bann gezogen. Es ist keine Weltmetropole, besitzt keine Monumentalbauten einstiger Weltgröße, keine Museen von Weltrang, die Touristen magisch anziehen, keine Oper mit Weltgeltung. Nicht einmal eine U-Bahn wird man finden. Dublin zieht den Besucher in den Bann durch eine Offensive der Blumen. Überall hängen sie und leuchten in Farben von weiß, violett bis tiefrot. Die Farbe der Blumen harmoniert mit den individuell gestalteten, verspielten Fassaden der vielen kleinen Läden und Geschäfte im Zentrum der Stadt. Jedes Geschäft strahlt etwas besonderes, einzigartiges aus. Und wieder leuchten dem Besucher überall kräftige Farben entgegen, die wir uns nicht wagen würden auf unsere deutschen Häuserwände zu streichen. Und ist wirklich einmal eine Fassade nur eine langweilige, senkrecht gemauerte, grau verputzte Wand wird sie als Haftgrund für ein gesprühtes Kunstwerk verwendet, das man am liebsten abziehen und ins Museum stecken würde um allen zu zeigen: Seht her so kann man tristen Städten Leben einhauchen, sie zu Stätten des Wohlfühlens machen.
Aber natürlich gibt es auch die andere Seite Dublins, die geschäftliche. Um auch etwas vom europäischen Wohlstand abzubekommen hat sich Irland vor etwa 20 Jahren auf ein Tänzchen mit den Teufeln der Finanzmafia eingelassen – und wie so oft war es die falsche Seite; Irland war bei den Verlierern. Man senkte die Unternehmenssteuern fast ins Bodenlose und deregulierte den Bankensektor um den Finanzteufelchen einen bequemen Roulettplatz zu schaffen. Geld floss ins Land verweilte kurz um sich zu vermehren und um dann weiter zu ziehen. Zurück blieben die kubischen Glasquader der funktionalen und Kosten optimiert erbauten Büro- und Verwaltungsbauten am Ufer des Liffey. Nur alles etwas kleiner, niedriger aber genauso hässlich gebaut wie in den Finanzmetropolen der großen Wirtschaftsmächte dieser Welt. Und noch etwas viel bedrohlicheres blieb beim Verlierer Irland: Die horrenden Schulden. Der Staat Irland musste für die Spekulationsschulden seiner Banken haften um die irische Volkswirtschaft nicht sofort ins finanzielle Desaster abstürzen zu lassen. Als Folge ist Irland praktisch insolvent und konnte nur durch kompliziert gespannte Rettungsschirme der übrigen Euroländer am Leben erhalten werden.
Büßen müssen jetzt, wo das große Geld weg ist, die Schulden aber blieben, die Iren. Im Glauben an die Versprechungen des ewigen Wohlstands wurden Häuser gebaut oder renoviert und neue Autos angeschafft – die niedrigen Zinsen machten es möglich. Jetzt wo die Party vorbei ist, ist das Land übersät mit Schildern, die Immobilienmakler aufgestellt haben: For Sale steht drauf, Zum Verkauf. Am Rande irischer Städte gibt es Straßenzüge mit Reihenhäusern, die über das Stadium des Rohbaus nicht hinausgekommen sind und es wohl auch nie mehr werden. In Limerick sind in den Außenbezirken Autowerkstätten und Bürohäuser mit Spanplatten vernagelt und verfallen vor sich hin und hinterlassen den Eindruck der Trost- und Hoffnungslosigkeit.
Die Iren sind krisenerfahren. ‚It could have been worse‘ würde ein Ire entgegnen und erst einmal aufführen warum sein jetziger Zustand ihn nicht in tiefe Depression verfallen lässt: Gut das Haus ist weg aber man wohnt bei der Schwester und der Sohn hat Arbeit in Australien und schickt Geld. Würde der Sohn seine Arbeit in den australischen Kohleminen verlieren, dann hätte man ein Problem. Dann müsste der Ehemann nach England gehen und dort Arbeit suchen und Geld schicken. Eben: Es könnte doch alles viel schlimmer gekommen sein.
Wo kommen die Iren eigentlich her? Wir stellten uns diese Frage und suchten eine Antwort im Nationalmuseum Irlands in Dublins Kildare Street. Im Nationalmuseum sind viele interessante originale Artefakte, beginnend mit der ersten Besiedlung Irlands 8.000 vor Christus, zu sehen. Als noch eine Landbrücke zwischen den Britischen Inseln und Irland mit dem europäischen Kontinent während der Weichseleiszeit bestand, wanderten vor etwa 14.000 Jahren erste Menschengruppen nach Irland ein um auf der Insel permanent zu siedeln. 600 vor Christus folgten die Kelten, wahrscheinlich aus der Normandie oder dem Baskenland. Sie brachten ihre keltische Sprache mit, die in Irland heute noch, neben dem Englischen natürlich, gesprochen wird. Alle offiziellen Schilder in der Republik Irland sind zweisprachig: Zuerst der irisch/keltische Schriftzug, dann die englische Übersetzung. Ganz im Nordwesten Irlands im County Donegal, ist alles irisch geschrieben. Irische Ortsnamen findet man unter Umständen nicht mehr auf der Straßenkarte und man muss das Navi im Blick behalten um feststellen zu können wo man eigentlich gerade ist. Die Römer hatten Irland nicht in ihr Reich eingegliedert. Man trieb nur Handel. Etwa im 5. Jahrhundert wanderten katholische Missionare ein und die Iren konvertierten zum katholischen Glauben. In den folgenden Jahrhunderten erzeugten die Wikinger und Normannen einen enormen Einwanderungsdruck. Gründungen der Städte Dublin, Limerick oder Cork gehen auf fest besiedelte Wikinger Handelsplätze zurück. Im 12. Jahrhundert setzte die Eroberung Irlands durch die Normannen den selbstständigen irischen Fürstentümern ein Ende und leitete die etwa 800 jährige Dominanz Englands auf der Insel ein. Diese endete 1922 mit der Gründung des Freistaates Irland und 1949 endgültig mit dem Austritt Irlands aus dem Commonwealth und der Gründung der Republik Irland.
Genug der vielen Worte! Wenn der geneigte Leser noch die Kraft hat schaue er sich die Fotos an. Alle sind ’so im vorbei gehen‘ geschossen und später vernünftig in Lightroom entwickelt. Wer Lust und Interesse hat werfe auch einen Blick auf die hier gezeigte Karte mit unserer in Rot eingezeichneten Reiseroute und begleite uns in Folgebeiträgen auf der weiteren Reise durch die Grüne Insel Irlands.
Schlagworte: Irland
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