Zehn Jahre fahren wir nun schon ins Land der Wälder, der Elche, die man nie sieht, des Regens, der immer kommt wenn es gerade nicht passt und dem sehnsuchtsvoll erwarteten blauen Himmel mit seinen wattebauschigen, weißen Wölkchen. Jedes Jubiläum hat etwas besonderes, so hatten es auch diese vier Wochen in Schweden in sich und sie werden unvergessen bleiben!
Schwedenfahrer, besonders wenn Kinder mit an Bord sind, neigen dazu immer die gleichen Plätzchen anzufahren. Vielleicht ist es die Gewohnheit vielleicht aber auch die Trägheit. Andere Leute wiederzutreffen ist auch eine Motivation: Waren die im Fendt Wohnwagen nicht schon vor 3 Jahren hier als wir … Also uns zog es nach der Travemünde-Trelleborg Überfahrt mit der TT-Line gleich nach Rotahult Natur Camping auf die Halbinsel Sirkön am wunderschönen Åsnen. Hier ist alles noch wie in den Jahren vorher: Das Seewasser des Åsnen ist zwar warm aber bräunlich, Carina, die Betreiberin, die normalerweise mit ihrer Familie in Göteborg wohnt machte mit ihrem Mann und den drei Kindern Sommerurlaub im typischen Schwedenhaus ihres Vaters am Eingang des Campingplatzes und auf dem Platz waren eine Reihe von Familien, bei denen wir uns fragten: Die kennst Du doch … oder nicht? Schön an diesem Natur Campingplatz ohne Strom aber mit akzeptablen sanitären Anlagen ist die Möglichkeit, Holz zu sägen, stapeln und zum Platz zu schleppen. Hier hat jeder eine Feuerstelle aus einer kleinen Mulde und einem Kranz aus Randsteinen. Manche kochen ihr Essen komplett auf ihren Feuerstellen, ganz wie man es aus Wildwest Filmen kennt. Abends kommt Carina vorbei mit Kinderwagen und ihren kleinen Mädchen. Sie schaut mal hier vorbei und mal dort, immer zu einem kleinen Schwätzchen in ihrem Schwedisch-Deutsch bereit.
Kommt man aus dem Schotterweg von Rotahult Natur Camping auf die Hauptstraße und fährt rechts Richtung Urshult liegt auf der linken Seite nach ca. 3KM ein typisches schwedisches Gehöft. Dort verkauft man ganz leckeren frischen Fisch aus der Region. Seitdem wir wegen Erfolglosigkeit das Angeln in Schweden aufgegeben haben aber auf die Süßwasserfische der Region nicht verzichten wollen ist ein Einkauf hier direkt beim Fischer ein Muß. Die Auswahl richtet sich nach dem aktuellen Fang. Den Fisch legen wir auf einen Rost auf unsere Feuerstelle und genießen mit entsprechenden Zutaten, die auch am Straßenrand verkauft werden (man nimmt sich die Ware und steckt passendes Geld in eine umfunktionierte Milchkanne), das köstliche Mahl.
In der Umgebung von Rotahult liegt auf einer Anhöhe über dem Åsnen das Café Lunnabacken mit den herrlichen Gartenanlagen. Ein Besuch kostet ein wenig Eintritt aber für uns insbesondere bei Sonnenschein ein Wellness Event für Geist und Seele. Ein schöner Waldweg führt vom Café in den herrlichen angrenzenden alten Buchenwald runter zum Campingplatz und Badestrand Kärrasand. Ach, wie gerne wär ich jetzt dort …
In Rotahult ließen wir unsere Boote, das alte Klepper Faltboot Aerius und ein Prijon mit Namen Christof, in den Åsnen See und paddelten eine knappe Stunde Richtung Gätnö Gård.
Gätnö Gård ist ein privat geführter Camping Platz auf einer Insel in Privatbesitz. Man kann Kleinigkeiten einkaufen, es gibt ein Cafe – nur muß man die Mittagspause von 13 bis 15Uhr beachten. In dieser Zeit gibt es gar nichts, alles geschlossen wie bei uns im letzten Jahrhundert. Sieht man von dieser Kleinigkeit ab ist der Platz sehr gut geführt und bei vielen Besuchern schon richtig kultig. Größere Kinder können Reiten und Minigolf, Tennis und Beachvolleyball spielen. Es gibt fast nur Deutsche Urlauber aber das ist in Rotahult auch nicht viel anders. Wir hatten uns mit einer Familie aus Pinneberg verabredet. Bei Kaffee und selbst gemachtem Kuchen plätscherte das Gespräch so dahin, Schule war ein Thema, ein bisschen Politik und Gesundheitsfragen. Der Mann erzählte, dass sich bei ihm auf einer Rüttel-Schotterstrecke in Schweden vor ein paar Jahren ein Nierenstein gelöst hatte und wahnsinnige Schmerzen auslöste und er sich alsbald in Växjö im Sjukhus oder Krankenhaus stationär wiederfand. Ich hörte mir das Ganze interessiert an ohne zu ahnen, dass ich in Kürze ähnliches erleben sollte.Das Gespräch kam dann irgendwann auf das Thema Korrö Folkmusik Festival. Ja, hier waren sie vor ein paar Jahren. Es ist nicht weit weg vom Åsnen und findet in einem kleinen Dorf oder eher Gehöft jedes Jahr von Donnerstag bis Sonntag am letzten Wochenende im Juli statt. Die Geschichte dieses bedeutsamsten schwedischen Folkfestival liest man am besten im obigen Link nach. Wir kannten den Namen Korrö und dessen Bedeutung schon von den Erzählungen von Steffi und Matthias, den Musikern in Malexander, vom letzten Jahr. Also verschoben wir unsere Weiterreise nach Malexander um zwei Tage und planten einen Besuch in Korrö ein.
Korrö liegt in Småland, genauso wie der Åsnen See und besteht im Grunde nur aus einem Gehöft. Es hat ein Wehr und regelt den Wasserfluß auf dem Ronnebyån, einem Verbindungsfluß zwischen Viren und Sansjön See. Größere Orte in der Nähe, wenn man das überhaupt so sagen kann, sind Linneryd und Rävemåla. Das Festival selbst findet auf den Freiflächen des Gehöfts, in den Wirtschaftsgebäuden und aufgebauten Zelten statt. Parken kann man auf den umliegenden, ausgeschilderten Wiesen.
Korrö ist das Festival der alten Instrumente wie Zitter, Leier und eine Menge Streichinstrumente. Faszinierend ist der Mix aus alten und jungen Musikern, Amateure und Profis. Workshops werden abgehalten z.Bsp. für Polska Tanz. Ich bin kein Experte in diesem Metier. Mich interessierten die Gesichter der Musiker wenn sie eins werden mit ihren Instrumenten und beim Vortrag ihrer Musik und das hoffe ich geben die Fotos wieder.
Am Samstag sind wir dann weiter gefahren um in strömenden Regen in Malexander auf dem Kultplatz „Malexander Camping“ gegen Abend anzukommen. Am nächsten Tag, Sonntag den 25. Juli in nachlassenden Nieselregen hatten wir uns entschlossen, das Vorzelt am Wohnwagen aufzubauen. Der schwere Stangensack lag im Kofferraum des Autos ganz unten. Ich zog, nichts tat sich. Dann versuchte ich über die Hüfte zu drehen um etwas Platz zu schaffen. Dabei ist mir ganz klar, dass man bei eingespannter Schulter die Lendenwirbelsäule nicht verdrehen darf – aber alles lief instinktiv falsch ab. Das Ergebnis: Eine Blokade im Lendenbereich LW3/LW4; aber das habe ich erst später erfahren. Nach 2 Tagen waren die Schmerzen im linken Steißbereich so stark, dass an Schlafen nicht zu denken war. Also entschlossen wir in der Not, das schwedische Gesundheitssystem zu beanspruchen. Da zumindest auf dem Lande keine niedergelassenen Ärzte zu finden sind wendet man sich an das nächste Vårdcenter, das Gesundheitszentrum. In unserem Fall in Boxholm. Meldet man sich nicht telefonisch an so kommt man über die Notaufnahme zuerst zu einem Interview mit einer Krankenschwester. Sie entscheidet ob ein Arzt zu konsultieren ist. In meinem Fall war schon beim ersten Sichtkontakt mit der etwas kräftig gebauten jungen Frau klar, dass sie mich nicht verstehen wird. Konsultation eines Arztes hielt sie für unnötig, untersucht wurde ich auch nicht – ist auch nicht ihre Kompetenz. Ich bekam verschreibungsfreie Schmerzmittel wie Parazetamol empfohlen eine Krankschreibung für Deutschland konnte sie auch nicht ausstellen. Ich schleppte mich zurück zum Auto und heim zum Wohnwagen. Wir planten ernsthaft die Möglichkeit ein, Anfang der nächsten Woche nach Deutschland zurückzufahren.
Die folgende Nacht von Donnerstag auf Freitag war fürchterlich. Nicht nur dass ich vor Schmerzen nicht schlafen konnte. Durch das dauernde Drehen, Verlagern und Aufrichten im Bett des Wohnwagens konnte meine ganze mitreisende Familie nicht schlafen. Am nächsten Tag waren wir wie gerädert. Uns war klar: Es mußte was passieren. Die letzte Hoffnung ist, es mußte ein Arzt her und zwar noch heute. Ich brauchte auf jeden Fall ein wirksames Schmerzmittel.
Wir fuhren am Freitag Vormittag ins Krankenhaus von Linköping in die Notaufnahme. Hier begann alles wieder mit der Besprechung mit dem Krankenpfleger – da dran kommt man nicht vorbei. Der hatte allerdings als ich sagte wir würden sofort den Urlaub abbrechen und nach Deutschland zurückfahren Mitgefühl und sagte er werde mir einen Orthopäden schicken; ich müßte nur etwas warten.
Der Orthopäde stellte sich – wie in Schweden üblich mit seinem Vornamen – als Andreas vor. Er bat mich in ein Behandlungszimmer und hörte sich meine Geschichte an. Dann kam eine gründliche Untersuchung ähnlich wie beim Orthopäden zwei Wochen später in Deutschland. Diagnose: Lumbago oder im Volksmund Hexenschuß, Therapie: Bewegen und ein starkes, verschreibungspflichtiges Schmerzmittel ansonsten Geduld. Spritzen werden nicht verabreicht. Außerdem schrieb er mich auf einem schwedischen Formular 100% arbeitsunfähig für die nächsten 2 Wochen. Er hielt es auch nicht für erforderlich nach Deutschland zurückzufahren. Die Zeit heilt auch diese Wunden; Geduld sollte man haben und Ruhe bewahren. Das haben wir dann auch so gemacht und konnten den Kindern die Ferienfreuden in Schweden doch weitestgehend bewahren.
Da ich mein Malheur auf dem Campingplatz nicht verbergen konnte nahmen viele Freunde mitfühlend Anteil an meinem Leiden. Matthias als Homöopath verabreichte mir homöopathische Kügelchen und erklärte die Meridiane als Energieleitbahnen, die gestört sind und irgendwie wieder ins Gleichgewicht kommen müssen. Er gab dabei praktische Tipps mit Vorführung zur Lockerung der Lendenmuskulatur, die ich auch entsprechend dem sich steigernden Schmerzpotential begrenzt befolgte. Steffi half mit einer Art Fakirkissen aus. Zuerst als meine eigenen Schmerzen noch nicht zu groß waren habe ich es mir unter das Becken geschoben und habe still gelitten. Später haben die Kinder es zum Wettkampf: Wer kann am längsten drauf stehen, benutzt. Nach der Beschreibung hilft auch dieses Marterinstrument gegen viele Leiden aber in meinem fortgeschrittenen Krankheitsstadium ergab’s keine Linderung. Annette wollte mir ihr Stützkorsett leihen, das sie nach gerade überstandenem Bandscheibenvorfall benutzt. Vielen lieben Dank auch dafür aber ich konnte zu diesem Zeitpunkt gar nicht laufen. Pilz und Beere hatten noch eine Ischiasgehhilfe aber auch die war zu diesem Zeitpunkt nicht anwendbar. Franz gab mir Hoffnung indem er von seinem Hexenschuß letzten Weihnachten erzählte und wie er ihn dann endlich nach mehreren Wochen doch überwunden hatte. Alle waren sehr besorgt, sogar ein schwedischer Dauercamper sprach mich auf fließendem Deutsch an und fragte was mein Fuß denn macht als er mich so humpeln sah. All diesen Lieben kann ich nur herzlich für ihre mitfühlende Rücksichtnahme danken.
Ja, wie geht es nun weiter: Drei Wochen nach dem Hexenschuß hatte ich einen Termin beim heimischen Orthopäden. Er untersuchte mich genau und diagnostizierte Reizung der linken L4-er Wurzel. Verschrieben hat er Massage und Fangio und er schrieb mich noch für eine weitere Woche krank. Damit konnte ich mich erst mal ausschlafen, da die Schmerzen auch Nachts langsam weniger wurden. Außerdem habe ich einen Termin für eine Magnetresonanztomographie um den Zustand des Lendenbereiches genau beurteilen zu können. Zu Hause führe ich ein richtiges Wellness Programm durch mit Massage- und Fangioanwendungen, Wärme, Gymnastik, Radfahren auf einem Ergometer und ich hänge mich stündlich an einem gerade extra gekauften Kettler Schwerkrafttrainer aus. Aber ich sitze auch wieder mal ab und an am Computer um diese Zeilen zu schreiben. Auch das geht gut und ist vollkommen schmerzfrei.
Malexander Camping habe ich mir in einem lichten Augenblick als Panoramabilder im Sehschlitz Format zusammengebaut. Hier der Blick auf den Platz:
und hier der Blick auf den Sommensee vom Museum aus:
Ich glaube in einiger Zeit wird sich dieser missratene Urlaub verklären und man kann was erzählen, etwas sehr Besonderes zum 10-jährigen Schweden Jubiläum. Aber bis ich soweit bin muß noch etwas Zeit ins Land gehen …
Bilder zu diesem Artikel findet man direkt unter diesem Text. Hier gibt’s die Fotos als Diashow chronologisch aufgereiht. Es beginnt in Travemünde, dann Lunnabacken und Rotahult. Es folgen Karlskrona, Korrö und Malexander. Zum Abschluß wie immer steht Falsterbo auf dem Programm. Die meisten Bilder sind natürlich vor dem Hexenschuß entstanden.
Ganz am Ende des Artikels die Google Karte zur Orientierung.
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