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Norwegen im Winter: Rund um Tromsø

Für eine Reise nach Tromsø, in Norwegens Norden, mitten im Winter. Auf was muss man sich einstellen? Kälte, vielleicht -20° Celsius am Tag, Dunkelheit, schwierige Straßenverhältnisse? Ich habe eine Reise dorthin gewagt.

Unser jüngster Sohn Christian hat sich für ein Studiensemester in Norwegen und dann noch für die nördlichste Universität der Welt, in Tromsø, entschieden. Und er hat mich für Mitte Februar eingeladen, ihn doch zu besuchen. Mitten im Winter.

Ich selbst bin kein Wintermensch, hasse eigentlich die Kälte und fast noch mehr die dicke, schwere, warme Kleidung, die man ständig an- und ausziehen muß. Hinzu kommt, dass ich meinte, im strengen, norwegischen Winter in der Mobilität stark eingeschränkt zu sein. Vereiste Straßen, vielleicht auch noch mit Schneewehen oder ganz gesperrt – eigentlich nicht mein Traum. Andererseits haben wir mit Christian viele unserer Reisen und kleinen Abenteuer gemeinsam bestanden und 2018 war ich mit ihm auf Island, für mich (und ihn) ein unvergessliches Erlebnis. Wir kannten uns also gut und ich liess mich überreden, ihn Mitte Februar zu besuchen.

Tromsø liegt weit im Norden Europas, etwa 350 Kilometer nördlich vom Polarkreis und damit etwa auf einem Breitengrad mit Nordalaska und Nordsibirien. Von Ende November bis Mitte Januar bleibt die Sonnenscheibe in der Tromsø Gegend unterhalb des Horizonts; es ist die Zeit der Dunkelheit oder der ständigen Dämmerung. Nur der weiße Schnee läßt die Menschen im Norden nicht in einen tiefen Winterblues versinken.

Eigentlich sollte man meinen, es ist hier so kalt wie in Alaska oder Sibirien, am Tage -20° und Nachts -30°. Aber nein, die norwegische Fjordküste hat eine geniale Fussbodenheizung, den Golfstrom, der ständig warmes Oberflächenwasser vom Äquator weit nach Norden schafft und die Fjorde eisfrei und die Lufttemperatur am Tage normalerweise bei moderaten 0° bis -5° hält.

Schnee liegt in dieser Gegend überall, meist meterhoch. Die Menschen in Tromsø sind wintererprobt und erfahren im Umgang mit Schneefräse und Schneeschieber. Zuwege und Straßen sind zuverlässig geräumt und der abgeräumte Schnee türmt sich hoch auf in Vorgärten und am Straßenrand. Trotz aller fleißigen Räumarbeit sind die Straßen aber mit einem festen Schnee- oder Eispanzer überzogen; in der Stadt und außerhalb. Ohne Spikes an den Schuhen und in die Winterreifen gedreht gibt es kein sicheres und gefahrloses Fortbewegen.

Tromsø ist mit knapp 80.000 Einwohnern die achtgrößte und nördlichste Stadt Norwegens. Das alte Zentrum, der Hafen, die Universität und der Flughafen, all das liegt auf der Insel Tromsøya zwischen den Meerengen Tromsøysund und Sandnessund. Verbunden ist die Stadt mit dem Festland über die 1960 gebaute, 1036 Meter lange Spannbetonbrücke Tromsøbrua und einen 1994 fertiggestellten Anschlusstunnel zur E8 im Westen sowie im Norden mit der Insel Kvaløya über die Sandnessundbrua.

Unseren Plan für meinen einwöchigen Norwegenurlaub steckten wir schon vor Reiseantritt ab. Wir wollten zuerst Tagesausflüge in die Umgebung Tromsøs unternehmen. Ich hatte deshalb ein kleines Toyota Hybridauto mit Winterspikes gleich am Flughafen gemietet. Am ersten Tag fuhren wir zum kleinen, norwegischen Urlaubsort Sommarøy auf der Insel Kvaløya, am nächsten Tag entlang der Lyngen Alpen, dann ins Fischerdörfchen Tromvik und weiter Richtung Rekvik und am nächsten Tag im Norden bis nach Mikkelvik auf der Insel Ringvassøya.

Und immer fahren wir durch eine traumhafte Winterlandschaft. Fester, pulveriger, ganz strahlend weißer Schnee überall. Immer wieder steigen wir aus, schnallen unsere Schneeschuhe unter und laufen auf Anhöhen oder einfach in die phantastische Landschaft hinein. So hat man von Anhöhen, wie dem nur 300 Meter hohen Nattmålsfjellet bei Ersfjordbotn, einen tollen Ausblick in den Ersfjord oder den Kaldfjord, je nachdem wie man den Kopf gerade dreht. Wir genießen diese Glücksmomente der Einsamkeit, der Weite und der unberührten Natur unter uns, bis die Kälte die Finger und Hände und die Füße erreicht. Dann zieht es uns zurück zum Auto und weiter geht’s.

Unser kleiner Toyota ist wirklich wintertauglich. Die Spikes haben genug Grip, um uns in der Spur zu halten und uns auf den eisigen Straßen jede Steigung sicher nehmen zu lassen. Wir fahren Pässe hinauf, geraten zwischen Tromvik und Rekvik in einen heftigen Schneesturm, der uns die Sicht auf die Straße nimmt und jedes Aussteigen unmöglich macht. Auf einem freigeräumten Parkplatz harren wir im Auto aus bis sich die Windböen etwas legen und beschließen dann, zurück zu fahren. Dabei müssen wir vorsichtig Schneewehen um- und überfahren. Es erinnert uns alles ein wenig an Namibia in der Hitze im Sandsturm nur ist es hier kalt statt heiß und der Sand ist Schnee.

Wir besuchen das kleine Fischerdörfchen Tromvik. Es stürmt; ein kalter Wind mit feinen Schneeflocken pfeift uns um die Ohren. Ein älterer Mann bedient eine Schneefräse, die den Schnee aus seiner Einfahrt in hohem Bogen ins Umland wirft. Sonst ist kein Mensch zu sehen. Der kleine Fischereihafen von Tromvik ist bei -10° im Winterschlaf erstarrt. Wir sind trotz der Kälte beeindruckt. Die Boote vor uns im grauen Wasser und die weiß gepuderten Küstenberge im Hintergrund, welch harsche Umwelt.

Die Fahrt in die Lyngen Alpen östlich von Tromsø beansprucht einen ganzen Tag und wir sind erst wieder spät Abends zurück in unseren Unterkünften. Am Breivikeidet Fergekai warten wir auf die Fähre, die uns für 12€ in 20 Minuten die 6 Kilometer übersetzt zum Svensby Fergekai. Laut Zeitplan müssen wir 90 Minuten bei -15° am menschenleeren Kai ausharren bis das Schiff anlegt und so haben wir viel Zeit, den Blick auf unser Ziel, die verschneite Bergkette der Lyngen Alpen auf der anderen Seite des Fjords zu richten und still frierend zu geniessen.

In Svensby angekommen fahren wir die schmale Landstraße 312 Richtung Norden bis wir nach etwa 15 Kilometer ein kleines Flüsschen Namens Strupskardelva kreuzen. Hier ist rechts ein Parkplatz, der als Ausgangspunkt für Wanderungen in die Lyngen Alpen dienen kann, im Sommer ohne und im Winter mit Skiern oder auch mit Schneeschuhen. Eine einfache Tour über etwa 10 Kilometer bis zum Blåvatnet See ist auf ganz jungfräulichem Pulverschnee gut zu schaffen und es belohnt den Wanderer mit einer stillen, tollen Winterlandschaft wie aus einem Märchen, umgeben von den 1.600 Meter hohen, schroffen Bergen der Lyngen Alpen.

Am nächsten Tag verlassen wir frühmorgens Tromsø, fahren wieder über die Sandnessundbrua auf die Nachbarinsel Kvaløya und wenden uns dann auf der Landstraße 863 gen Norden. Hier ist es zu dieser Jahreszeit sehr einsam. Wir begegnen kaum entgegen kommenden Autos oder etwa Menschen im Freien. Auf der Insel Ringvassøya mitten auf einem dieser einsamen Hochtäler, Fjell genannt, biegen wir in einen Weg ein und ziehen die Schneeschuhe an, um ein kleines, vollkommen eingeschneites Freizeitressort mit typisch, norwegischen Holzhäusern zu erkunden. Wie Watte türmt sich der Schnee hoch auf den Dächern und manchmal hängen Eiszapfen von den Traufen der Häuser herab. Kein Mensch weit und breit; alles ist in einen tiefen Winterschlaf verfallen. Nach einer Weile fahren wir weiter. Unser Tagesausflug endet schließlich im Dorf Mikkelvik oder genau gesagt vor dessen Friedhof, der auf einer Anhöhe gleich neben der Straße liegt mit weitem Blick hinaus aufs europäische Nordmeer.

Für Christian beginnt nun wieder das Unileben und ich werde in den nächsten zwei Tagen alleine zu Fuß durch Tromsø streifen. Meine Unterkunft liegt im Ortsteil Tromsdalen auf dem Festland, 5 Minuten entfernt von der Tromsøbrua, die den Tromsøysund überspannt. Ich ziehe meine warme Winterjacke an, wickele einen Schal fest um den Hals, stülpe Handschuhe über die Finger und die dicke Mütze ziehe ich mit Kapuze über den Kopf. Lange Unterhosen trage ich sowieso. Das sollte mich warm halten. Nun noch die Spikes unter die Schuhe und es kann los gehen.

Ich schau mir die Tromsöbrücke genauer an. Von unten, von oben, nachts und am Tage. Sie hat einen grazilen, spannungsvollen Bogen und viele schlanke Beinchen, auf denen sie steht. Sie ist betongrau und mit 60 schon ein wenig in die Jahre gekommen und sie ist schmächtig und vibriert klagvoll dumpf, wenn schwere Fahrzeuge sie beim Überfahren bearbeiten. Fast neben der Brücke steht die 1965 erbaute Eismeerkathedrale, Anziehungspunkt vieler Touristen aus aller Welt. Selbst jetzt im Winter sind Touristen hier. Sie kommen aus dem Irgendwo dieser kleinen, eisigen Stadt und stehen plötzlich in Grüppchen auf der Brücke, plappern in babylonischer Sprachenvielfalt nur die gezückten, immer bereiten, gleichen Smart- und iPhones sind bei allen dabei, um zu beweisen: Seht her, ich war hier.

Ich streife durch die Altstadt, schlendere durch die Fußgängerzone Storgata bis zur Tromsø Domkirke, der wohl nördlichsten evangelisch-lutherischen Kirche in Holzbauweise, deren Ursprung weit zurück ins Mittelalter reicht. Dann gehe ich hinunter zum Hafen und suche nach interessanten Fotomotiven. Ich entdecke ein Kreuzfahrtschiff der Hurtigruten am Kai und ein Whalewatching Boot, das auf Kunden wartet. In Tromsø, der Pforte zum Eismeer, stößt man immer wieder auf Spuren bedeutender Polarforscher.

Dem berühmten Roald Amundsen, dem Entdecker des Südpols im tragischen Wettstreit mit seinem britischen Rivalen Robert Scott, ist hier in Tromsø ein Denkmal gesetzt. Fridtjof Nansen, Polarforscher, Ozeanograf, Diplomat und Friedensnobelpreisträger wurde unter anderem berühmt durch seine tollkühne Fram Expedition. Auch sein Forscherleben ist eng mit dieser Stadt Tromsø verbunden. Das abenteuerliche Leben dieser Polarforscher, das uns vor über 100 Jahren viele Erkenntnisse über Geografie, Meereskunde und Fauna der Polarregionen unserer Erde lieferte, ist hervorragend dokumentiert im Polarmuseum von Tromsø, direkt am Hafen. Gerade bei schlechtem Wetter ist das Museum zu einem Eintrittspreis von ca. 7€ einen Besuch wert.

Am letzten Tag in Tromsø will ich unbedingt hoch auf den Hausberg der Stadt, den 418 Meter hohen Storstein. Von dort oben soll sich dem Besucher ein phantastischer Blick über die im Norden gelegene Stadt bieten. Es gibt zwei Aufstiegsmöglichkeiten: Der teure, 26€ Aufstieg ist mit der Fjellheisen Seilbahn einfach und komfortabel und führt von der Talstation am Fuße des Berges in Tromsdalen in ein paar Minuten bis zur Bergstation mit Restaurant und Aussichtsplattform; der zweite Aufstieg, mit viel Muskelkraft, geht über die Sherpa Trappas.

In den Jahren 2017/18, ein Jahr nach der Grundsanierung der 1961 eröffneten Fjellheisen Seilbahn setzten Sherpas aus Nepal 1.200 Steinstufen fast immer in die Falllinie des Storstein Berges um den ursprünglichen, steilen Aufstiegspfad sicherer zu machen und die Bodenerosion einzudämmen. Der Aufstieg ist körperlich sehr anstrengend; im Winter nur mit Spikes oder noch besser mit Grödel, das sind leichte Steigeisen, machbar. Im Winter gibt es keine Treppenstufen, die Trittsicherheit bieten. Der ganze Treppenaufstieg ist eine steile, glatte Eisrinne in der nur Spikenägel oder besser die Metallzacken der Grödel Halt finden. Ist man erst einmal oben auf der Kuppe des Berges angelangt, hat man einen phantastischen Blick über die Fjordlandschaft rund um Tromsø.

Was mir jetzt noch zu einer rundum gelungenen Reise nach Tromsø fehlt sind Polarlichter. Eines Abends ruft mich Christian an und sagt, wir müßten schnell noch mal raus, Polarlicher schauen. Er hat spätabends die Webseite Aurora LIVE cameras und dort die Kamera der Forschungsstation Ramfjordmoen, 10 Kilometer außerhalb Tromsøs, immer im Blick, und er prüft zusätzlich täglich auf seinem Android Smartphone mit der App Meine Polarlicht-Vorhersage die konkrete, aktuelle Aurora Prognose. Und genau heute soll man Polarlichter sehen können. lso packen wir Kamera, Objektive und Stativ ein und fahren den Tromsøysund entlang bis wir außerhalb der Stadt sind und kein künstliches Umgebungslicht uns stört. Und tatsächlich, mit etwas Geduld und Christians Erklärungen erkenne ich die grünlichen Wolkenschleier und es gelingen zum Abschluß dieser acht Tage in diesem nordeuropäischen Gefrierschrank schöne und beeindruckende Nachtaufnahmen.


Unsere etwa 900 Kilometer Route rund um Tromsø als gpx-Track befindet sich zum Download hier:

  TromsoeWinter2020 (387,8 KiB, 672 hits)

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