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Vom Hainich nach Görlitz

Es ist Sommer 2018 und es ist bei uns ein Supersommer. Unseren Urlaub in den Sommerferien wollen wir daher in Mitteleuropa verbringen. Keine weite Flugreise, keine neue Zeit- oder Klimazone. Wir fahren mit dem Dachzelt auf dem Auto nach Polen. Von Köln zum Hainich Nationalpark in Nord-Thüringen, in Görlitz an der Neiße gehts über die Grenze nach Polen, genauer nach Schlesien oder ÅšlÄ…sk, ins Hirschberger Tal (Kotlina Jeleniogórska), Breslau (WrocÅ‚aw), nach Auschwitz (OÅ›wiÄ™cim), danach Krakau (Kraków)und am Ende in die Masuren (Mazury) zum Paddeln und Erholen. Aber fangen wir von vorne an.

Von Köln aus wählen wir den schnellsten Weg: Auf der Autobahn A4 fahren wir bis Olpe, dann weiter auf der Sauerlandlinie A45 bis Wetzlar, bei Gießen auf die A5 und schließlich folgen wir wieder der A4 bis Eisenach. Die breiten Autobahnen auf unserem Weg schlängeln sich durch eines der zusammenhängendsten Waldgebiete in Deutschland, dem südlichen Rothaargebirge. Es geht bei Bad Hersfeld über die Fulda und weiter zur ehemaligen deutsch-deutschen Grenze, die wir aber kaum bemerken, nur ein großes Schild macht auf die früher bedeutende innerdeutsche Grenzstation Herleshausen aufmerksam.

Unser erstes Ziel, der Nationalpark Hainich liegt in Thüringen nördlich von Eisenach und man kann den dicht bewaldeten Höhenrücken des Thüringer Waldes von der vorbeiführenden A4 gut erkennen. Wir fahren im Nordosten, am Rande des Hainich im kleinen Ort Weberstedt den Campingplatz Am Tor zum Hainich an. Der Campingplatz ist sauber und gepflegt, ruhig und nicht überfüllt also sehr zu empfehlen; er ist außerdem wirklich ein Tor zum Hainich. Von hier aus kann man schöne Wander- und Radtouren in den Nationalpark starten; lange Tagestouren oder auch nur einen kurzen Abendspaziergang.

Der Hainich ist Teil des im deutsch-deutschen Einigungsvertrags festgelegten Naturpark Eichsfeld-Hainich-Werratal. Seine einzigartige Bedeutung liegt in alten, naturbelassenen Buchenwäldern auf dem kalkhaltigen Boden des Ausläufers des Thüringer Waldes. Der Hainich beherbergt viele einzigartige Tiere und Pflanzen und man findet an vielen Stellen dicke, hoch gewachsene Buchen und uralte, knorrige Eichen wie z.Bsp. die 600-800 Jahre alte Betteleiche.

Der Hainich ist heute einer der wenigen deutschen Nationalparks und wurde 2011 in die Liste des UNESCO Weltnaturerbes aufgenommen. Die Parkverwaltung hat sich liebevoll bemüht, ihren Nationalpark den Besuchern interessant und ideenreich zu präsentieren. An vielen Stellen im Wald befinden sich Tafeln mit Textstellen aus Grimms Märchen, die ja häufig von dunklen, finsteren Gruselwäldern erzählen; an anderen Stellen werden ökologische und historische Zusammenhänge dem Besucher erklärt. Höhepunkt ist ein Baumwipfelpfad, der in Kronenhöhe zu verschiedenen Treffpunkten führt und dort schöne Ausblicke weit in das Thüringer Becken im Norden erlaubt.

Was mich am Hainich besonders nachhaltig beeindruckt hat ist, dass mir ganz nebenbei ein tieferes Verständnis für die Wälder, die wir in Mitteleuropa haben, vermittelt wurde. Würde der Mensch nicht eingreifen so hätten wir dichte Buchenwälder in unserer Heimat. Aber schon seit der ersten menschlichen Besiedlung nutzte man den Wald zum Bauen, Feuern aber auch als Nahrungsspender für Nutztiere. Die Wälder im Mittelalter und der Neuzeit wurden durch intensive Nutzung immer stärker zurückgedrängt und die Laubbäume durch schnell wachsende Nadelbäume ersetzt. Erst in unserer Zeit, besonders auch durch den Klimawandel, dehnen sich die bewaldeten Flächen wieder aus und man schätzt die ursprünglichen Laubwälder als robusteres Ökosystem.

Von unserem Campingplatz aus machen wir Radtouren durch den Hainich oder gehen im Wald spazieren. Abends fahren wir in die nahe gelegenen Städte Mühlhausen und Bad Langensalza. Einen Tag reservieren wir für einen Besuch der Wartburg, die auf einem Bergvorsprung des Thüringer Waldes hoch über Eisenach thront. Alle Städte, die wir hier im Osten besuchten, sind nach der Wende aufwändig und sorgfältig restauriert worden und man fühlt sich in der mittelalterlichen Fachwerkarchitektur wie in eine andere deutsche Epoche zurück versetzt.

Mühlhausen ist die Stadt Thoams Münzers, eines Zeitgenossen Martin Luthers. Wie Luther war Münzer ein Priester und später ein theologischer Reformator, wie es viele zu Anfang des 16. Jahrhunderts gab. Während Luther die weltliche Ordnung nicht antasten sondern nur den Glauben reformieren wollte, stellte Münzer auch die herrschende Ordnung in Frage. Er wurde Führer und Leitfigur der um 1520 ausbrechenden Bauernkriege in Thüringen und nach der verlorenen Schlacht bei Frankenhausen von den Fürsten gefangen gesetzt, gefoltert, enthauptet und sein Kopf aufgespießt und zur Schau gestellt. Thomas Münzer war Pfarrer an der Marienkirche in Mühlhausen. Ein anderer prominenter Gast in Mühlhausen war 200 Jahre später der Komponist Johann Sebastian Bach. Von 1707 bis 1708 hatte er eine Anstellung als Organist in Mühlhausen und heiratete hier seine Frau Maria Barbara Bach.

Auch die Wartburg ist ein nationales Denkmal ersten Ranges, besonders für jeden Angehörigen des evangelisch-lutherischen Glaubens. Sie ist eng mit dem Wormser Reichstag 1521 und Luthers Ausspruch ‚Hier stehe ich und kann nicht anders!‘ bei der Verteidigung seiner Bibelinterpretation vor dem Deutschen Kaiser und päpstlichen Vertretern, seiner Abreise und Entführung durch Reiter des sächsischen Kurfürsten Friedrich der Weise und seinem Aufenthalt als Junker Jörg auf der Wartburg verbunden. Während seines Aufenthalts auf der Wartburg übersetzte er das Neue Testament ins Deutsche und hatte so großen Einfluss auf die Gestaltung der Deutschen Sprache und die Verbreitung des evangelisch-lutherischen Glaubens.

Im 19. Jahrhundert besann man sich immer mehr der geschichtlichen und kulturellen deutschen Vergangenheit. Auf der Wartburg fanden bedeutende nationale Versammlungen der studentischen Burschenschaften zur Erinnerung an Luthers Aufenthalt auf der Burg und an die nahe Völkerschlacht bei Leibzig statt. Der Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, Carl Alexander ließ die Burg im 19. Jahrhundert aufwändig restaurieren und so umbauen wie wir sie heute sehen. Seit 1999 ist die Wartburg UNESCO Weltkulturerbe und wird heute von vielen Touristen aus aller Welt besucht.

Uns zieht es weiter Richtung Osten. Wir fahren auf der A4 an Dresden vorbei und in Bautzen verlassen wir die Autobahn und fahren Richtung Bad Muskau. Bad Muskau ist eigentlich ein unbedeutendes Grenzstädtchen an der Neiße mit etwa 4.000 Einwohnern wenn dort im Schloss Muskau nicht der Fürst Hermann von Pückler-Muskau am 30. Oktober 1785 geboren worden wäre. Fürst Pückler-Muskau war ein sehr gebildeter Herr. Er reiste viel durch die Welt, war ein damals geschätzter Schriftsteller, Generalleutnant der preußischen Armee und sehr angesehenes, charmantes Mitglied der adligen Gesellschaft seiner Zeit. Insbesondere war Fürst Pückler-Muskau im 19. Jahrhundert ein sehr bedeutender Landschaftsgärtner. Er reiste viel nach England und kam dort mit der englischen Landschaftskunst, dem Englischen Garten in Kontakt. Fürst Pückler-Muskau gestaltete sein Schloss in Muskau und umliegende Anwesen um im Stile eines Englischen Gartens. Er musste dazu Unmengen Mutterboden von weither anliefern lassen und Methoden entwickeln, um auch größere Bäume erfolgreich zu verpflanzen. Entstanden ist ein einmaliger Englischer Garten in Deutschland, der Vorbild für viele Gartenanlagen dieser Art in seiner Zeit wurde. Seine Ideen von Sichtachsen und Landschaftsgestaltung werden wir z. Bsp. auch noch in den schlesischen Sommerresidenzen der preußischen Oberschicht und des Königshauses im Hirschberger Tal im heutigen Polen antreffen.

Fürst Pücklers Schloss und Park wurde 1945 nach der Grenzziehung an der Oder-Neiße plötzlich und abrupt geteilt. Das Schloss lag auf deutschem, der größte Teil des Parks auf polnischer Seite. Schwere Kriegsschäden am Schloss und im Park mußten beseitigt werden, was Jahrzehnte dauerte. Nach der Wende arbeiteten deutsche und polnische Denkmalschützer eng zusammen und man restaurierte das Schloss, baute die alten Neißebrücken wieder auf und setzte den mitlerweile verwilderten Englischen Landschaftspark wieder in Stand. Am 2. Juli 2004 wurde der Fürst-Pückler-Park Bad Muskau als gemeinsames, deutsch-polnisches Projekt in die UNESCO Liste der Weltkulturerbe aufgenommen. Der Zugang zum Park auf beiden Seiten der Grenze ist frei. Man kann spazieren gehen oder besser noch radfahren oder sich auch auf eine Bank irgendwo im Park setzen und den freien Blick auf das wunderbare Schloss auf der anderen Neißeseite genießen.

Im Osten des Fürst Pückler Parks, auf polnischer Seite, schließen sich die ehemaligen Alaun- und Braunkohlebergwerke an. Sie sind heute ein Naturschutzgebiet mit weitläufigen Radwegen. Noch bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs wurden Kalium-Aluminium Sulfate und andere Mineralien sowie Braunkohle in kleinen Bergwerken abgebaut. Heute ist alles eine renaturierte Seenlandschaft mit schön angelegten Wander- und Fahrradwegen.

In Bad Muskau hatten wir Schwierigkeiten eine Campingübernachtung zu finden. Wir empfehlen den Wohnmobilstellplatz Bad Muskau in der Bautzener Straße 39.

Unsere Reise führt weiter, die kleine Lausitzer Neiße hinauf bis nach Görlitz. Hier entscheiden wir uns, ein Hotelzimmer zu nehmen, das wir in einem der Internet-Buchungsportale zentrumsnah finden. Es ist die Alte Herberge/Villa Ephraim. Diese alte Jugendstilvilla ist innen aber auch außen beeindruckend gestaltet und man versteht, dass hier 1945 noch der Stadtkommandant der Wehrmacht und dann nach der Kapitulation die sowjetische Besatzungskommandantur einzogen.

Görlitz wurde nach der Wende exzellent restauriert. Eigentlich sollte die Altstadt in den 1980er Jahren komplett abgerissen werden so heruntergekommen waren die Bauwerke zu DDR Zeiten. Das Vorhaben scheiterte aber am Widerstand der Bewohner. Görlitz lag abseits vom Kriegsgeschehen zum Ende des Zweiten Weltkriegs und blieb damit in seiner mittelalterlichen Stadtarchitektur ganz erhalten. Die Altstadt ist geprägt von großen ineineinder fließenden Plätzen mit dem Untermarkt als Prunkstück der Stadt. Vom Untermarkt, an dem auch das alte, historische Rathaus liegt führt die Peterstraße zur Peterskirche von 1492 und die Neißstraße runter zur Neiße. Der Grenzfluß Neiße trennt heute das ehemals östliche Görlitz, heute polnische Zgorzelec vom westlichen, deutschen Görlitz. Eine kontrollierte Grenze zwischen beiden EU-Ländern gibt es nicht mehr, trotzdem ist es krass wie plötzlich die Sprache und alle Beschriftungen in das für uns unverständliche Polnisch wechseln.

Wir haben uns in Görlitz wohl gefühlt. Nette, preiswerte Restaurants mit guter Qualität, der diesjährige Schlesische Tippelmarkt (Töpfermarkt) mit vielen regionalen Töpferangeboten fand gerade statt und das herrliche Wetter trugen dazu bei. Nun sind wir aber gespannt, was uns in Polen erwartet.



Unsere etwa 5.100 Kilometer lange Tour quer durch Ostdeutschland, den Süden Polens, Masuren und über Hamburg zurück nach Köln in 33 Tagen als gpx-Track findet sich zum Download hier:

  Track_nach_Polen (1,4 MiB, 684 hits)


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