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Verdun, Mahnmal der Vergangenheit

Das Jahr 2014 ist ein besonderes: Zum 100ten Mal jährt sich am 1. August 2014 der Beginn des 1. Weltkriegs. Für uns war dies Anlass genug, die 320 Kilometer bis zu den Schlachtfeldern von Verdun zu fahren und diese Stätte des ehemaligen Grauens und Mahnens zu besuchen.

Verdun ist heute ein kleines französisches Provinzstädtchen an der Maas in der Region Lothringen mit knapp 20.000 Einwohnern. Jetzt im Winter wirkt alles trostlos und kalt. Der Himmel ist grau mit tief hängenden, dicken Regenwolken, es nieselt und die Feuchtigkeit kriecht die Wände der Häuser am Straßenrand hinauf. Alles wirkt trist und passt zu dem großen grauenhaften Spektakel, das hier am 21. Februar 1916 seinen blutigen Anfang nahm.

Wir fahren von unserem Hotel aus hinauf zur zentralen, nationalen französischen Gedenkstätte der Schlachtfelder von Verdun, dem Beinhaus von Douaumont (Ossuaire de Douaumont). Das Monument erinnert an ein bis zum Schaft in den Boden gerammtes Schwert, dessen Handknauf als Turm in Form einer Granate gestaltet ist. Die Halle des 140 Meter langen Tonnengewölbes des Mahnmals beherbergt kleine Kapellen zur Andacht und Gedenkstätten für bestimmte französische Regimenter. An den Wänden sind hunderte Erinnerungstafeln gefallener französischer Soldaten mit Namen, Geburts- und Todesdatum angebracht. Unweigerlich rechnet man nach: Geboren am 3. April 1892, gefallen am 20. Juni 1916 – im Alter von 24 Jahren also. Mir schaudert: Mein ältester Sohn ist 25 Jahre alt. Welches Leid wurde den Eltern, Geschwistern und der ganzen Familie des jungen toten französischen Soldaten zugefügt?

Als das Morden rund um Verdun endgültig beendet war suchte man alle menschlichen Überreste auf den Schlachtfeldern zusammen. Die Reste von geschätzten 130.000 Toten, Franzosen, Deutsche und Soldaten anderer Nationen konnte man nicht mehr identifizieren. Sie fanden ihre letzte, gemeinsame Ruhestätte in einem riesigen Sarkophag im Untergeschoss des Douaumont Denkmals.

Am westlichen Hang vor dem Ossuaire de Douaumont ist ein riesiges Gräberfeld für 15.000 französische Soldaten angelegt. Die weissen Holzkreuze versehen mit kleinen Namensschildern sind in einem festen Raster gesetzt. Jedes Kreuz steht für das Grab eines gefallenen französischen Soldaten. Es wirkt auf mich, als ob eine ganze Division Toter in schneeweißer Paradeuniform zum Appell angetreten ist. Vielleicht sind viele dieser jungen Männer damals mit Begeisterung in den Krieg gezogen um dann die unmenschlichen Zustände im Schlachtfeld in den Gräben und Kasematten zu erleben. Vielleicht hassten sie diesen Krieg, ihre Vorgesetzten, die sie immer wieder in sinnlose Vorstöße schickten? Hätten diese toten Helden eine Stimme, die wir hören könnten, vielleicht wollten sie nicht mehr militärisch in Reih und Glied ausgerichtet zur letzten Ruhe auf dem Schlachtfeld gebettet sein sondern nur noch nach Hause in ein einfaches Grab irgendwo in der französischen Provinz. Wer weiß, wer weiß.

Die französische Verteidigungslinie in den nordöstlichen Maashügeln oberhalb von Verdun wurde seit 1880 durch die Errichtung einer Kette von Forts vom französischen Militär massiv ausgebaut. Über die Jahre verstärkte man die Befestigungen der Forts immer wieder um dem technischen Fortschritt der schweren Artilleriewaffen gewachsen zu sein. Diese Forts, besonders Douaumont als größtes und Vaux spielten eine herausragende Rolle bei der französischen Abwehrschlacht des deutschen Angriffs auf Verdun im 2. Kriegsjahr, im Jahr 1916. Das Ziel, das die Deutsche Oberste Heeresleitung mit dem Angriff auf Verdun verfolgte war, eine Entlastung der nördlich an der Somme in schwere Stellungskämpfe verwickelten Teile der 2. Deutschen Armee zu erreichen. Die Deutsche Heeresleitung unter Erich von Falkenhayn wollte die schwer befestigte Frontlinie bei Verdun nehmen und erwartete dann, dass die Franzosen und ihre britischen Verbündeten erhebliche militärische Kräfte in den Frontbogen von Verdun verlagern müßten um einen Durchbruch der deutschen Kräfte auf Paris zu verhindern. Falkenhayn, der Protagonist dieser Strategie, rechnete mit einem Verlustverhältnis von 2 deutschen zu 5 französischen Soldaten und wollte so dem französischen Militär eine ‚Ermattungsschlacht‘ liefern, man wollte den Feind ‚weißbluten‘ lassen mit einer gigantischen ‚Blutpresse‘.

Der deutsche Angriff auf die Verteidigungslinien der Franzosen begann am Morgen des 21. Februar 1916 mit einem infernalischen Artilleriebeschuss durch über 1.200 schwere Geschütze. Es folgte ein intensiver Einsatz von Minenwerfern um die französischen Gräben zu verwüsten und gegen Abend rückte deutsche Infanterie vor um die zerschossenen französischen Stellungen einzunehmen. Doch der Plan Falkenhayns ging nicht auf: Die französischen Verteidiger konnten sich halten und lieferten einen heldenhaften Abwehrkampf. Es gelang ihnen über die Straße D603, die heute in Frankreich Voie Sacrée (Heilige Straße) genannt wird, das erste Mal in der Militärgeschichte mit Lastwagen die überlebenswichtige Versorgung der Front mit Soldaten, Verpflegung und Munition zu organisieren. Letztlich erstarrte die Schlacht von Verdun in einen Stellungskrieg mit Offensiven und Gegenoffensiven beider Seiten ohne einen entscheidenden Flächengewinn. Ende 1916 war die Lage der Deutschen und Österreichisch-Ungarischen Armeen in anderen, wichtigeren Frontabschnitten so prekär, dass Falkenhayn sich für den Abbruch der deutschen Offensive vor Verdun entschied. Das Endergebnis der deutschen Strategie des ‚Weissblutens‘ des Feindes: In der Hölle von Verdun kämpften insgesamt etwa 1,2 Millionen junge Soldaten gegeneinander, 400.000 bezahlten direkt auf dem Schlachtfeld mit ihrem Leben und etwa 800.000 starben später an den furchtbaren Kriegsverwundungen. Deutschen Geländegewinn konnte man per Saldo nicht erreichen und der Blutzoll auf beiden Seiten war etwa gleich. Kurzum endete die Schlacht um Verdun für die deutsche Militärführung in einem gigantischen Desaster.

Wir kaufen Eintrittskarten, bekommen jeder einen auf deutsche Sprache eingestellten elektronischen Führer, ein kleines iPod mit Kopfhörern und zwängen uns in die feuchten Gänge tief im Innern des Fort Douaumont. Draußen regnet es und hier unten tropft es von der Decke. Die Feuchtigkeit sammelt sich am Boden in einen kleinen Rinnsal der in einen der Gänge verschwindet. Es ist kalt und ungemütlich. Wir gehen den kleinen grünen Pfeilen an den Wänden nach, lauschen unserem iPod Führer, schauen uns die Toiletten, die Ruheräume, Kommandostände und Gefechtstürme an. Hier also wütete das Grauen in militärischer Vollendung. Kaum vorstellbar, dass in diesen Höhlen statt wie vorgesehen 500 Soldaten plötzlich über 3.000 gehaust haben sollen.

Es ist schwer sich diese Hölle vorzustellen: Infernalischer Gefechtslärm durch Granateinschläge auf dem Dach des Forts. Schwere Granateinschläge an den Eingängen und schwächeren Bauwerken des Forts führen zu Verschüttung und Tod. Das elektrische Licht erlischt immer wieder sodass es stockdunkel ist. Ein bestialischer Gestank breitet sich aus. Ein ständiges Kommen und Gehen: Erschöpfte Kämpfer suchen hier eine kurze Rast, andere Soldaten müssen ausrücken. Es mangelt fast immer an Verpflegung und besonders Wasser. Alles muss von außen über das Grabensystem durch Feindesland unter ständigem Feindbeschuss nachts hinein geschleppt werden. Munition wird in großen Mengen im Fort gelagert deshalb sind ausbrechende Feuer im Innern lebensgefährlich und eine ständige, besondere Gefahr für die gesamte Besatzung. Die Toten im Fort können nicht mehr nach draußen verbracht werden. Man weiß sich nicht anders zu helfen als sie in Kasematten oder Seitengewölben des Forts einzumauern. Zu guter Letzt werden Verwundete von draußen ins Fort in die Sanitätsräume geschafft. Jeder Soldat konnte hier direkt erleben wie grausam es ihm schon im nächsten Moment ergehen könnte.

Das Fort Douaumont wurde nach heftigem Artilleriebeschuss schon am 26. Februar 1916 vom Brandenburgischen Infanterie Regiment 24 im Handstreich erobert. Erst nach Konsolidierung des französischen Frontabschnitts um Verdun begann Ende Mai 1916 die Rückeroberung des Fort Douaumont durch französische Soldaten. Die Kämpfe wurden auf beiden Seiten mit äußerster Härte und Grausamkeit geführt. In die Gänge des Fort wurde Giftgas oder schwarze, rußige Abgase geblasen um den Feind zu vergasen oder ihm Sicht und Orientierung zu nehmen. Letztendlich kämpften aber Soldaten mit Maschinengewehren, Handgranaten und Flammenwerfern Mann gegen Mann in den Festungskatakomben um jeden Gang, jede Kasemmatte und jeden Gefechtsstand.

Das Fort Vaux liegt ein paar Kilometer südöstlich vom Douaumont. Diese Anlage ist kleiner und wurde von den französischen Verteidigern nach dem schnellen Fall des Fort Douaumont militärisch verstärkt und sollte auf jeden Fall gehalten werden. Ihr Kommandant Sylvain Eugène Raynal wehrte sich mit seiner Besatzung tapfer. Als jedoch kein Nachschub und keine Unterstützung von Außen mehr möglich war und die Besatzung zu verdursten drohte gab er am 7. Juni 1916 den Kampf auf und begab sich mit dem kümmerlichen Rest seiner Männer in deutsche Gefangenschaft. Der Kampf um das Fort Vaux gilt als einer der grausamsten, brutalsten und Menschen verachtenden Kämpfe, die während der Schlacht um Verdun im Jahr 1916 geführt wurden.

Das Ende dieses Mordens um Verdun ist kurz erzählt: Die sichere Versorgung der französischen Truppe mit Nachschub über die Voie Sacrée und der effektive Einsatz französischer Artillerie brachte die Wende. Nach mehreren, vergeblichen Versuchen gelang am 24. Oktober 1916 die Rückeroberung des Douaumont und erst am 2. November zogen sich die deutschen Soldaten aus dem Fort Vaux zurück und überließen es dem Feind. Was hier so in ein paar Sätzen beschrieben wird war damals ein grausames Gemetzel mit Offensiven und Gegenoffensiven. Das Ende war, dass viele deutsche Soldaten die Stadt Verdun, um deren Einnahme sie heftig und blutig gekämpft hatten, wirklich noch eingenommen haben: Als Gefangene auf dem Weg in ein französisches Gefangenenlager.

Soweit meine Beschreibungen. Sie alle sind von jemanden, der nie mit einem Überlebenden des Ersten Weltkriegs sprechen konnte. Alles ist angelesen oder beim Besuch der ehemaligen Schlachtfelder empfunden. Es ist an der Zeit, wirkliche Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen. German Werth, ein deutscher Militärhistoriker, hat lebende deutsche Veteranen interviewt und mit historischen Anmerkungen zu einem 1½ stündigen sehr eindrucksvollen Film komponiert. Auf YouTube gibt es diesen Film in drei Teilen. Hier ist dieses Dokument zu sehen.

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Wenn der geneigte Leser jetzt auch noch die Geduld hat meine Bilder, die Anfang März 2014 am Schlachtfeld rund um die Forts Douaumont und Vaux bzw. dem Beinhaus von Douaumont aufgenommen wurden, anzusehen, dann gibt es hier 64 Impressionen.


Am Schluß des Artikels gibt es den GPS Track File unserer Verdunreise hier zum Download:

  Verdun.zip (236,3 KiB, 1.163 hits)

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