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Prag im Herbst

Wir hatten Glück. Schon seit Wochen lag ein beständiges Hoch über Mitteleuropa und sorgte für einen warmen, sonnigen Spätsommer. Alles war wie bestellt für ein paar Tage Anfang Oktober in Prag.

Mit dem Flugzeug von Köln/Bonn dauert es nur etwa eine Stunde bis der Germanwings Airbus A320 sicher den 15 Kilometer westlich der Stadt gelegenen Václav Havel Flughafen erreicht. Noch im Flughafen Terminal tauschen wir ein paar Euros in Tschechische Kronen und sind nun wohl gerüstet, um mit dem Flughafenbus 119 zur Metro Station Nádraží Veleslavín und weiter mit der grünen U-Bahn Linie A zur Station Můstek zu kommen. Hier sind wir schon im Zentrum Prags, zwischen Altstadt und Wenzelsplatz. Eigentlich könnten wir unser gebuchtes Hotel Jerome House zu Fuss erreichen aber wir entscheiden uns, in die gelbe U-Bahn Linie B umzusteigen und eine Station weiter bis zum Halt Národní třída zu fahren.

Prag, die Hauptstadt der Tschechischen Republik, hat etwa 1,2 Millionen Einwohner, ist also etwas größer als Köln. Der Kern der historischen Stadt Prag, den Touristen wie wir im allgemein besuchen, ist gut zu Fuss oder mit dem Nahverkehr zu durchstreifen. Die U-Bahn ist überschaubar und besteht nur aus drei Linien, die einfach Linie A, B und C heißen und Hinweisschilder auf die U-Bahnlinien tragen die Farben Grün, Gelb und Rot. Zwischen den Metrostationen aber oberirdisch verkehren Straßenbahnen. Es ist also nicht schwer, sich zu orientieren und, falls die Füsse nicht mehr weiter wollen, sich dem Nahverkehr anzuvertrauen um ins Hotel zurückgebracht zu werden.

Der Nahverkehr ist für den Prag Touristen wichtig, daher hier eine gute Karte des Streckennetzes im Prager Zentrum aus dem Internet; algemeine Informationen über Preise und Fahrkartenkauf besorgt man sich auf der Seite von Czech Transport.

Der Stadtkern Prags bestand einmal im Mittelalter aus vier Einzelstädtchen: Auf der rechten Seite der Moldau die Altstadt Prags/Staré MÄsto und die Neustadt/Nové MÄsto und auf der linken Moldauseite die Kleinseite/Malá Strana und der Hradschin/HradÄany mit der Burganlage und dem Veitsdom. Verbunden werden die Stadtteile durch diverse Moldaubrücken wobei die Karlsbrücke/Karlův most eine der ältesten, erhaltenen Steinbrücken in Mitteleuropa ist. Ihr Bau wurde vom berühmten bömischen König und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Karl IV. im 14. Jahrhundert veranlasst. Diese Brücke verbindet die Altstadt mit der Kleinseite unterhalb des Hradschin.

Natürlich ist die Altstadt Prags mit dem Altstädter Ring/StaromÄstské námÄstí als zentralen Marktplatz des mittelalterlichen Stadtkerns der Magnet für Prag Touristen. Und Touristen gibt es viele in Prag; gefühlt mehr als in Paris. Also muss man häufig geduldig sein und sich in manche Besucherschlange einreihen. Dafür kann man durch mittelalterliche Gassen schlendern und an vielen nett gestalteten Schaufenstern stehen bleiben. Es gibt in Prag auffällig viele Schmuckläden und Geschäfte, die Antiquitäten anbieten aber natürlich auch eine Menge Restaurants und Kaffeehäuser. Eines, das Cafe Slavia/Kavárna Slavia, in der Neustadt gelegen, sollte man auf jeden Fall besuchen. Es verströmt Habsburger Kaffeehaus Atmosphäre, man kann gute, bömische Küche probieren oder bei einer Tasse Kaffee im freien WLAN des Hauses surfen.

Zum Altstädter Ring wird es den Besucher Prags immer wieder zurück führen. Dieser zentrale Ort der Stadt zeigt bedeutende historische Bauwerke des späten Mittelalters, das Altstädter Rathaus/StaromÄstská radnice mit seiner astronomischen Uhr und dem Rathausturm und die Teynkirche aber auch die umliegenden, später erbauten Bürgerhäuser, die nett und liebevoll restauriert sind, sollte man nicht übersehen.

Vom Altstädter Ring ist es nicht weit bis ins jüdische Viertel, der Josephstadt/Josefov mit der alten Synagoge und dem alten jüdischen Friedhof. Es grenzt an ein Wunder, dass diese jüdischen Kulturdenkmäler nicht von den Nazis während der Besatzung zerstört worden sind. Der ‚Stellvertretende Reichsprotektor von Böhmen und Mähren‘ und Organisator der ‚Endlösung der Judenfrage‘, Reinhard Heydrich, wollte in Prag eine Art jüdisches Museum für die Zeit nach der Judenvernichtung erhalten. Die Erhaltung der jüdischen Kulturdenkmäler ist Gott sei Dank gelungen.

Der Wenzelsplatz/Václavské námÄstí liegt im Zentrum der Neustadt und ist eigentlich ein breiter Prachtboulevard, der an der U-Bahn Station Můstek beginnt und am Nationalmuseum am Denkmal des Heiligen Wenzel endet. Der Heilige Wenzel/Svatý Václav, ein böhmischer Fürst im frühen Mittelalter, wurde schon früh als Heiliger verehrt und gilt als Schutzpatron der Böhmischen Länder. Sein Reiterdenkmal, umringt von vier heiligen, böhmischen Schutzpatronen fertigte Anfang des 20. Jahrhunderts der tschechische Bildhauer Josef Václav Myslbek. Der Wenzelsplatz mit dem Denkmal des Heiligen Wenzel steht für die nationale Souveränität der Tschechischen Republik. Hier fand die Proklamation der Tschechoslowakischen Republik 1918 statt hier endete der ‚Prager Frühling‘ am 21. August 1968. Am Denkmal des Heiligen Wenzel verbrannten sich anschließend aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings der Student Jan Palach und Jan Zajíc. An beide erinnern heute mit Blumen geschmückte Gedenktafeln. Der Wenzelsplatz stand 1989 im Mittelpunkt großer Demonstrationen und Reden des Dramatikers und späteren Präsidenten Václav Havel. An diesem Platz wurde das kommunistische Regime in der damaligen Tschechoslowakei gestürzt und das Land fand seinen Weg zu Meinungsfreiheit und moderner, westlicher Demokratie.

Für mich persönlich hat dieser Platz einen großen Erinnerungswert. Als 17-jähriger Schüler machte unsere Schulklasse die Abschlussfahrt in die damalige sozialistische Tschechoslowakei ÄSSR und, wie der Zufall es will, wir waren in den Augusttagen gleich nach dem ersten Jahrestag der Niederschlagung des Prager Frühlings in Prag. Wir sahen die Panzer am Denkmal des Heiligen Wenzel und erlebten das beißende Tränengas in den Straßen der Stadt. Trotz strengster Ermahnung durch unsere Lehrer schlichen wir uns bei Dunkelheit spät Abends aus unserem Quartier in die Altstadt, und ich kann mich noch gut erinnern, dass es dort richtig zur Sache ging. Überall Demonstranten und Sicherheitskräfte, Tränengas, das verschossen wurde und Uniformierte, die auf Demonstranten Jagd machten. Mir wurde sehr mulmig und ich war froh, den Weg zurück in unser Studentenwohnheim gefunden zu haben. Am nächsten Morgen zählten unsere Lehrer ihre Schülerschar durch und alle waren erleichtert, dass niemand fehlte. Kein Lehrer sprach danach jemals unser revolutionäres Abenteuer an. Alle waren zu erleichtert, dass unser neugieriger Ausflug folgenlos geblieben war.

Wir folgen dem Ratschlag unseres Reiseführers und wählen auf dem Weg vom Hotel in der Altstadt zum Hradschin hinauf einen kleinen Umweg über den Laurenziberg/Petřínská Rozhledna. Auf diesem Berg steht in einem schönen Park ein Aussichtsturm. Erbaut zur Prager Landesausstellung 1891 ist dieser Turm ein im Massstab 1:5 nachgebauter Pariser Eifelturm, der zur Weltausstellung 1889 gerade zwei Jahre zuvor eingeweiht worden war. 299 Stufen führen im Prager Turm hinauf zur obersten Aussichtsplattform und es bietet sich dort ein herrlicher Ausblick auf die unterhalb des Laurenzibergs gelegene Stadt Prag, auf die Moldau und die vielen Brücken sowie auf die Altstadt und den Hradschin. Angeblich soll man von hier aus auch, wenn das Wetter gut ist, weit über Prag bis ins böhmische Hinterland hineinsehen können. So stand es wenigstens im Reiseführer. Wir waren jetzt im Herbst aber schon froh, einen Überblick über Prag geboten zu bekommen.

Unterhalb des Hradschin im Stadtteil Kleinseite liegt das Palais Lobkowitz. Es ist die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland. An diesem Ort wurde 1989 Deutsche Geschichte geschrieben. Seit Anfang 1989 flüchteten damals immer mehr DDR Bürger über den Zaun am rückwärtigen Botschaftsgebäude in den Park und Garten der Botschaft. Als im Spätsommer etwa 4.000 Menschen auf dem Botschaftsgelände Zuflucht gesucht hatten wurde die Situation sogar für die Machthaber in der damaligen ÄSSR und der DDR unhaltbar und man handelte mit Vertretern der Bundesrepublik aus, dass die Botschaftsflüchtlinge über das Territorium der damaligen DDR per Bahn in die Bundesrepublik ausreisen durften. Vom Balkon der Botschaft verkündete der damalige Außenminister Genscher den jubelnden Menschen die Ausreisegenehmigung. Hier ein kurzer YouTube Film dieses Moments.

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Die Prager Burg auf dem Hradschin ist heute Sitz des Tschechischen Staatspräsidenten, derzeit ist es Miloš Zeman. Die Burganlage ist für Touristen weitestgehend frei zur Besichtigung. Es lohnt sich, etwas Zeit zu nehmen, den Blick hinunter auf die Stadt Prag zu genießen und anschließend dem gotischen Veitsdom einen Besuch abzustatten. Auf dem Rückweg, zurück in die Altstadt, kann man den Krönungsweg nehmen, den die böhmischen Könige von ihrem Königspalast in der Altstadt zum Veitsdom gegangen sind. Er führte über den Altstädter Ring und die Karlsbrücke den Hradschin hinauf zum Veitsdom.

Es gäbe noch viel zu erzählen. Franz Kafka, den großen tschechisch-jüdischen Schriftsteller in deutscher Sprache müßte ich erwähnen, der in der Goldenen Gasse 22 auf dem Hradschin kurz wohnte ehe er in die Josephstadt zog oder über die vielen Hinrichtungen im Zuge der Gegenreformation im 17. Jahrhundert auf dem Altstädter Ring. Auch Jan Hus, der Religionsreformator und Rektor der Prager Universität, der seine theologischen Lehren auf dem Konzil von Konstanz nicht widerrief und in Konstanz am 6. Juli 1415 verbrannt wurde, war ein Bürger Prags, dessen Wirken weit über die Stadt hinaus die Menschen bewegte. Aber ich denke trotzdem, es ist genug der vielen Worte und es sollen am Ende ein paar Bilder sprechen.



Unser Weg in Prag als gpx-Track findet sich zum Download hier:

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